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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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weg?«, fragte er.
    » Vor dir?«, höhnte Kunun. Das hättest du wohl gerne, wie? Du hast verloren, kleiner Bruder, gib es zu.«
    » Man kann nicht verlieren, bevor man gekämpft hat.«
    » Was soll das werden? Eine Aufforderung zum Duell? Ich kämpfe nicht gegen Menschen.« Die Verachtung in Kununs Stimme war kaum zu überbieten. » Jetzt verschwinde, ich habe etwas zu erledigen.«
    Mattim stellte sich ihm in den Weg und hielt ihn fest. » Nur über meine Leiche.«
    » Na gut«, sagte Kunun leise, » aber lass dir gesagt sein, ich spiele nicht.«
    Wir werden alle sterben, dachte Mattim. Wir alle … aber ich brauche die Zeit! Laut sagte er: » Alles oder nichts. Wenn ich verliere, dann hol dir den Jungen. Nimm dir Akink und den Wald und Jaschbiniad, tu mit Magyria, was du willst. Töte mich, und keiner wird dir mehr Widerstand leisten. Alles wird dir gehören. Aber wenn ich gewinne, müssen deine Schatten sich mir unterwerfen, und niemand darf Attila auch nur ein Haar krümmen.«
    Kunun musterte ihn, als hätte er es mit einem Geistesgestörten zu tun. » Bist du von Sinnen? Du kannst nicht gewinnen. Schon als Schatten hättest du keine Chance gegen mich gehabt, doch als Mensch?«
    » Beenden wir die Schlacht«, sagte Mattim. » Das ist nicht ihr Kampf, es ist unserer.«
    » Das sagt ausgerechnet der, der völlig unterlegen ist. Aus der Pforte kommt immer noch Nachschub für mich, während der Großteil deiner edlen Rebellen im finsteren Wald festsitzt, weil sie kein Blut getrunken haben.« Kunun ließ den Blick über die kämpfenden Schatten schweifen.
    Jede Sekunde, die verstrich, bedeutete Blut, Schmerzen, Verstümmelungen, Schreie und Blindheit, Entsetzen ohne Ende, das Ringen der Toten mit dem Tod.
    » Was die Leute betrifft wie auch dich selbst: Du kannst nicht gewinnen.«
    Mattim widersprach nicht. Natürlich hatte Kunun recht. Es stand ihm frei, die Flusshüter und die Jaschbiner in ihren beiden Gestalten zerfetzen zu lassen, seinen jüngeren Bruder zu töten und als Letztes Attila umzubringen– schnell und leicht. Er war nur ein Mensch, nur ein Kind.
    » Ich will lieber, dass die Schatten dir gehören, als dass sie alle zugrunde gehen.«
    » Oh, das ist neu. Warst du nicht der Held, der lieber sterben wollte, als mir zu dienen?«
    Mattim hatte nur eine einzige Chance. Wenn Hanna die rettende Pforte öffnete und Attila nach Magyria holte… vielleicht musste er dann nicht sterben. Aber selbst wenn das Licht nach Magyria zurückkam, was nützte es ihm hier? Kunun würde den Kampf gewiss nicht abbrechen, wenn Attila plötzlich verschwand, sondern ihn erst recht zu Ende führen.
    » Ja«, sagte Mattim. » Dennoch bin ich nicht bereit, sie alle mit mir in den Abgrund zu reißen. Sie haben nichts, wofür sie kämpfen könnten, wenn ich fort bin. Besieg mich, und du hast keine Gegner mehr. Doch solange ich lebe, werde ich dich daran hindern, auch nur einen Schritt weiterzugehen.«
    Kunun hob die Hand.
    Sofort hielten die Schatten inne. Unzählige Körper, in wilden Verrenkungen gefangen, erstarrten wie eingefroren, horchten auf die Stimme ihres Meisters.
    » Hört auf«, sagte er. » Ihr sollt Zeugen sein, wie sich der letzte Spross des Lichts durch Selbstüberschätzung und Dummheit hervortut. Wenn Mattim fällt, werdet ihr mir gehorchen, egal auf welcher Seite ihr jetzt steht. Das ist sein Wille. Nicht wahr, kleiner Bruder?«
    » Ja«, sagte Mattim. Er suchte Soltas Blick.
    Der Hauptmann nickte, und er meinte es ernst. Mirontschek wirkte entsetzt, ihm war zuzutrauen, dass er weiterkämpfte. Doch wenn es keine Hoffnung gab, mussten seine Freunde aufhören, sich zur Wehr zu setzen, sie mussten sich arrangieren. Allerdings bezweifelte er, dass sie das wirklich tun würden. Ein Kerl wie Wikor oder einer wie Solta, Goran, die mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte– nein, sie würden sich ganz gewiss nicht unterwerfen, so hoffnungslos und verzweifelt sie auch waren. Für immer würden sie ein Stachel in Kununs Fleisch bleiben.
    Das ließ die Aussicht auf das unausweichliche Ende etwas leichter erscheinen.
    » Macht es ihm so schwer wie möglich, Prinz Mattim!«, rief Solta.
    » Zeigt es ihm, Wolfsprinz!«, rief Mirontschek, der überraschend heiter klang.
    So würde das Licht untergehen– unverzagt, ungebrochen.
    Kunun ging in Angriffsstellung, ganz Meister der Schatten, den keine Klinge töten konnte. Kein Wunder, dass er lachte. Kein Wunder, dass Hohn sein entstelltes Gesicht verzerrte, dass er damit rechnete,

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