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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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flüsterte Farank. » Ich bitte dich darum.«
    » Haltet sie gut fest«, befahl Kunun. » Wir gehen auf die Brücke, jetzt.«
    Vergebens wehrte Mattim sich gegen den festen Griff, mit dem die Wächter ihn mitschleiften. Farank dagegen blieb ruhig, nun, da es nur um sein Schicksal ging und nicht um das seines Jüngsten.
    » Wir wollen kein Aufsehen erregen«, sagte Kunun leise, bevor sie die große Halle betraten. » Verhüllt ihn. Am besten alle beide.«
    » Wehr dich, Vater!«, schrie Mattim. » Wenn deine Untertanen das mitbekommen, dann…« Seine Stimme wurde von dem Sack erstickt, den sie ihm über den Kopf zogen.
    Trotzdem erfüllte ihn diese neue Ungerechtigkeit mit Triumph. Wenn Kunun es für nötig hielt, ihre Gesichter zu bedecken, traute er seinem eigenen Volk nicht. Mattim hatte recht gehabt, die Schatten wären ihm gefolgt. Er und sein Vater konnten Kunun gemeinsam vom Thron stoßen.
    » Es sind meine Untertanen«, sagte Kunun dicht an seinem Ohr. » Und du bist schön still, verstanden? Für jeden Laut werde ich nicht dich bestrafen, sondern unseren Vater. Mach mich richtig wütend, und er wird nicht im Fluss sterben, sondern brennen. Langsam und qualvoll. Glaub mir, das kommt dem, was er mit mir gemacht hat, nicht einmal nahe.«
    Mattim biss die Zähne zusammen und ließ sich widerstandslos die Treppe hinunterführen. Er zählte seine Schritte, um zu erkennen, wo sie waren. Der Saal. Die Treppe nach draußen. Straßenpflaster? Es ging leicht bergab. Dann ein kühlerer Luftzug an seinen Armen. Das Atmen wurde immer schwerer, der raue Stoff kratzte auf der Haut. In ohnmächtiger Wut hielt er still und verwünschte die Schwäche dieses menschlichen Körpers.
    » Gut«, sagte Kunun.
    Die Wächter rissen Mattim den Sack vom Kopf. Sie standen auf der Brücke, vor ihnen waberte der leuchtende Nebel über der dunklen Oberfläche des Stroms. Für jeden Schatten war dieser Fluss tödlich– der Donua hier in Magyria, die Donau drüben in Budapest.
    » Hauptmann?«
    Solta trat vor.
    Mattim blinzelte, er konnte es immer noch nicht fassen. » Du dienst ihm?«, fragte er. » Diesem Ungeheuer?«
    Unter Soltas Leitung war der junge Prinz bei der Patrouille gewesen. Auf Mattims Befehl hin in Schatten verwandelt, hatten Solta und die anderen Wächter die Brücke nach Akink erobert. Der Mann, für dessen Treue Mattim früher die Hand ins Feuer gelegt hätte, hatte sich wie alle Übrigen gegen das Licht gewendet, warum also schmerzte es so, ihn hier vorzufinden?
    » Wie kannst du nur?«
    » Ich diene dem Herrn dieser Stadt«, entgegnete Solta. Ohne eine Miene zu verziehen packte er den alten König am Arm und führte ihn auf das Brückengeländer zu.
    » Du machst ihn nur zum Märtyrer!«, rief Mattim in einem letzten Versuch, seinen Bruder umzustimmen. » Dafür wird ganz Magyria dich hassen!«
    » Sollen sie ruhig«, sagte Kunun gelassen. » Sollen sie erkennen, wer ich bin, und sich fürchten.«
    Farank blickte nicht ins Wasser, in die Dunkelheit des Sterbens, das ihn erwartete. Er schaute auf seinen jüngsten Sohn, ernst und voller Liebe. Nicht einmal sein Abschied gehörte Kunun. Kein Bitten, keine hasserfüllten Anklagen. Vielleicht hätte er sein Schicksal noch wenden können, wenn er seine Aufmerksamkeit einmal ganz auf seinen Ältesten gerichtet hätte.
    Sag irgendetwas zu ihm, flehte Mattim innerlich. Sag ihm, wie viel auch er dir bedeutet. Selbst wenn es eine Lüge ist – tu es! Belüge ihn! Gib ihm, was er haben will!
    Doch selbst wenn sein Leben davon abhing, konnte Farank nicht über seinen Schatten springen. Er hielt den Blick weiterhin auf Mattim gerichtet. Alles lag darin, Liebe, Bedauern, Abschied. Alles für Mattim.
    » Niemandem von uns bleibt eine Wahl«, flüsterte Kunun. » Jetzt!«
    Da sprang Farank vor, riss Soltas Schwert an sich und warf sich auf Kunun, der den Angriff trotz seiner Überraschung geschickt parierte. Die Soldaten wollten ihrem Herrn zu Hilfe kommen, aber Mattim stieß einen Wächter so heftig zur Seite, dass er gegen das Geländer stürzte, drehte den nächsten auf den Rücken und entwand ihm seine Waffe. In diesem Augenblick fühlte er sich wie ein entfesselter Sturm, der die Aufmerksamkeit aller auf sich lenkte. Von dem Kampf der beiden Schatten, Farank gegen Kunun, bekam er kaum etwas mit, von dem leichtfüßigen Tanz der beiden, die sich nie ähnlicher gesehen hatten. Zu sehr musste er sich darauf konzentrieren, dem Hass und der Wut der Wächter standzuhalten. Es waren drei.

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