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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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einander gegenseitig verraten hatten– der König, indem er ihn ins Verlies gesperrt hatte, um ihn hinzurichten, und Mattim, der sich als Schattenwolf mit dem verhängnisvollen Biss dafür gerächt hatte. Sie hatten einander verloren, doch die Liebe war noch da. Ausgerechnet jetzt, wo Farank ein kaltes Herz gebraucht hätte, um Kunun ins Gesicht zu lachen. Wenn die Liebe fort gewesen wäre, warum hätte der König des Lichts seinem ältesten Sohn dann überhaupt noch trotzen sollen, dunkel wie er?
    Verzeih mir, wollte Mattim rufen, aber er brachte kein Wort heraus. Nun wusste er, warum sich Kunun so sicher war, dass er gekrönt werden würde, dass der alte König ihm gehorchen würde. Mattim selbst war das Pfand, das Druckmittel.
    » Seht Ihr, er ist hier«, sagte Kunun mit unerträglicher Fröhlichkeit. » Euer Lieblingssohn.«

5
    AKINK, MAGYRIA
    In Faranks Augen las Mattim, dass es stimmte. Für dich, mein Sohn, schien er zu sagen, werde ich mich beugen, für dich.
    » Wie versprochen«, meinte Kunun heiter. » Wo ist mein Umhang?«
    Zwei Diener brachten das Prachtgewand für die Krönung herbei, einen golddurchwirkten Umhang, der auf dem Boden schleifte, üppig bestickt mit unzähligen kleinen Bildern– die viele tausend Jahre alte Familiengeschichte.
    » Legt ihn mir um, Eure Majestät.« Es war auffällig, wie Kunun es vermied, ihn Vater zu nennen.
    Farank griff nach dem Stoff, berührte ihn nahezu zärtlich und wog ihn in den Armen, das schwere Gewand, dessen Last er sodann auf Kununs Schultern verteilte. Er schwieg dabei, während die Menge auf dem Platz vor dem Balkon in Jubel ausbrach.
    Kunun, wie immer in schwarzer Hose und schwarzem Hemd, die Hände in feinen schwarzen Handschuhen, wirkte in dem glänzenden Königsgewand wie ein Fremder. Fast konnte man sich vorstellen, dass er einmal ein Prinz des Lichts gewesen war.
    Er nickte zufrieden. » Nun bringt die Krone. Atschorek?«
    Von einem Diener nahm seine Schwester das Samtkissen entgegen, auf dem der goldene, juwelenbesetzte Reif lag.
    » Nein!«, rief Mattim. » Tu’s nicht! Bitte nicht, Vater!«
    Er wollte sich losreißen, auf den Balkon hinausstürzen, sich zeigen und zum Kampf aufrufen, aber ein Wächter schob ihm einen Knebel in den Mund. Hilflos musste er mit ansehen, wie Farank die Krone von dem Kissen hob. Kunun kniete nieder, und der alte Monarch drückte seinem Sohn den königlichen Schmuck aufs Haupt. Sein Gesicht verriet dabei absolut nichts.
    Die Menge war so still, dass seine Worte weithin hallten.
    » Hiermit kröne ich dich, Kunun aus der Familie des Lichts, Erstgeborener von Farank und Elira, zum König über Magyria.«
    Es klang, als hätte er die Worte auswendig gelernt, seine Stimme zitterte nicht, und auch seine Hände, die einen Moment lang auf Kununs Haar verhielten, blieben ruhig.
    Der neue König erhob sich. Er wandte sich der Menge zu und breitete die Arme aus. Mattim vernahm das Geschrei und den Jubel der Anwesenden wie aus weiter Ferne; er fühlte sich wie betäubt. Sieh mich an, Vater, flehte er innerlich. Sag mir, dass es nicht wahr ist.
    Doch als Farank zu ihm hinüberblickte, wirkte er ernst und nachdenklich. Nicht wie ein gebrochener Mann– vielleicht eher wie jemand, der sich fragt, ob das, was er da gerade gekauft hat, den hohen Preis wert ist.
    Kununs triumphierende Seidenstimme übertönte den Beifall, als er seinem Volk zuwinkte und rief: » Das Zeitalter des Lichts ist endgültig vorbei. Auf die Nacht der Nächte, meine Schatten!« Dann wandte er sich um. » Nehmt ihm den Knebel ab, damit er mir gratulieren kann.«
    Sobald Mattim das Tuch in seinem Mund los war, spuckte er aus. » So viel gebe ich auf dein Königtum.«
    » Bist du etwa eifersüchtig, kleiner Bruder?« Kunun nahm die Krone ab und drehte sie zwischen den Händen. » Jetzt ist sie mein. Hast du je davon geträumt, sie zu tragen? Dieses einzigartige Symbol für Magyria?«
    Das Gold schimmerte sanft, wie ein Ring aus Licht. Die bunten Steine– Rubine, Smaragde, Diamanten– ergaben ein verschlungenes Muster, durch das sich ein Band aus himmelblauen Saphiren wand.
    » Kennst du ihre Bedeutung?«, fragte Kunun. » Jeder Rubin steht für eine Stadt. Die Smaragde stehen für den Wald und die Dörfer darin. Der große Diamant hier in der Mitte, das ist Akink. Und der Donua … Ist es nicht herrlich, wie er sich um die Städte und den Wald windet, so viele Schleifen und Kreise, als würde er jedes Dorf umfassen. Diese Krone steht für ganz Magyria. Ist

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