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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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ich.«
    » Ich bin untröstlich«, meinte Mirita. » Aber so ist es nun mal. Als Schatten, noch dazu an Kununs Seite, gibt es nichts, was sie fürchten muss. Niemand, um den sie sich sorgen muss. Sie kann endlich anfangen zu… leben. Gönnst du ihr das denn nicht?«
    » Doch«, sagte er, seine Stimme brach beinahe.
    » Menschen verändern sich. Herzen wandeln sich.«
    » Meins nicht«, flüsterte er.
    » Von wegen. Deins auch. Weißt du nicht mehr? Wir waren Freunde. Wir gegen den Rest der Welt. Du hast mich geküsst, Mattim, bevor du Hanna kennengelernt hast. Und danach auch noch. Erst wolltest du mich, dann wolltest du sie, und zwischendurch warst du dir nicht sicher. Es gibt keine unsterbliche Liebe, bei keinem von uns. Jeder ist verführbar.«
    Hanna nicht, wollte er sagen, nein, schreien, aber er schwieg.
    » Jetzt ist sie auch ein Schatten.« Mirita klang schon fast wieder munter. » Das ändert so einiges.« Nachdenklich drehte sie eine Locke um den Zeigefinger. » Es ändert jeden von uns.«
    Wie kann mein Herz sich ändern, wenn ich es nicht will? Wie kann es dunkel werden, wenn ich es nicht zulasse?
    Ein Spruch. Damit hatte er sich Mut gemacht, bevor er losgezogen war, um ein Schatten zu werden, aber jetzt erkannte er, was es wirklich war: nichts als ein dummer Spruch aus dem Mund eines Ahnungslosen. Alles änderte sich, alles konnte finster werden. Akink, die Stadt des Lichts, genauso wie die Herzen. Jedes Herz. Auch das von Hanna. Ob man wollte oder nicht.
    Glauben konnte er es trotzdem nicht. Ich kenne sie besser, dachte er, doch um sich nicht einer weiteren Flut von Miritas schlagenden Argumenten auszusetzen, sprach er es nicht aus.
    » Ich will jetzt nach Hause«, sagte er.
    » Und das ist wo?«
    Mirita war nicht dumm. Sie stellte kluge Fragen, auch solche, auf die er keine Antwort wusste.
    Dort, wo Hanna ist. Bei ihr war sein Zuhause.
    » In der Burg?«, hakte sie nach, als er zögerte.
    » Jedenfalls nicht hier im Dunkeln«, sagte er. » Würdest du mich jetzt auf die andere Seite bringen?« Er wünschte sich, er hätte sie nicht darum bitten müssen.
    » Na gut.« Sie hätte ihn gerne in ihrer Wohnung behalten, das spürte er, aber sie wollte ihn nicht gegen sich aufbringen. Auch das konnte er fühlen. » Gehen wir.«
    Sie schwiegen, wofür er dankbar war. Wie in einem seltsamen Albtraum wankte er über das Pflaster, bis er plötzlich ins Leere trat und stolperte.
    Mirita fasste ihn am Arm. » Pass auf.«
    Zum Glück war er nicht tief gefallen. Ein Loch in der Straße hatte ihn aus dem Tritt gebracht. Warum fehlte ein Stück vom Kopfsteinpflaster? Ein paar Meter mussten sie über feste, steinige Erde, dann ging es normal weiter.
    » Was ist das?«, fragte er. » Eine Baustelle?«
    » Die Steine sind weg«, sagte Mirita.
    » Wie, weg? Sind wir nicht vorhin denselben Weg gegangen?«
    » Das passiert manchmal«, meinte sie. » Eben waren sie noch da, jetzt sind sie halt verschwunden.«
    Mattim blieb stehen, ihn fröstelte. » Was ist hier los, Mirita? Wie können sich die Pflastersteine in Luft auflösen? Hat jemand sie gestohlen? Gibt es Rebellen da draußen, die die Stadt nach und nach abtragen?« Es klang komisch, aber ihm war nicht nach Lachen zumute.
    » Ich weiß nicht«, sagte sie unbehaglich. » Wir sprechen nicht darüber, also hältst du es am besten genauso. Komm, dahinten ist eine Pforte.«
    » Wer verbietet euch, darüber zu sprechen?« Er wartete die Antwort nicht ab. » Kunun, natürlich. Kunun liebt Geheimnisse.«
    » Hier ist es. Willst du jetzt durchgehen oder reden?«
    Mattim zögerte. Die Sache gefiel ihm nicht. Sosehr ihn die Verwandlung Hannas auch mitnahm, dies hier war ebenfalls eine Geschichte, der er unbedingt auf den Grund gehen musste. Aber zunächst brauchte er ein Bett für die Nacht und etwas zu essen. Nachdem er so lange ein Schatten gewesen war, neigte er immer noch dazu, die Bedürfnisse seines Körpers zu vernachlässigen. Doch sich im Haus eines Vampirs zur Ruhe zu legen kam nicht in Frage.
    » Danke«, sagte er zu Mirita, die merklich verstimmt war.
    Wortlos nahm sie seine Hand und führte ihn durch die Pforte. Dann ließ sie ihn los und machte einen Schritt rückwärts.
    Im nächsten Moment stand er wieder in Budapest– unwillkürlich sah er sich nach den verschwundenen Pflastersteinen um. Tatsächlich, da waren sie. Jemand hatte sie von der Straße entfernt, und nun versperrten sie fein säuberlich aufgeschichtet den Bürgersteig.
    Hanna träumte von Wölfen.

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