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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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er dastand und sie mit diesem merkwürdigen Blick bedachte, erinnerte Hanna an Kunun. Was es auch war, jedenfalls war es nicht seine Kleidung. Er trug eine halb zerfetzte schwarze Lederjacke und Jeans und wirkte irgendwie verloren, als hätte er sich in der Party geirrt. Ein Auge war grünlich verfärbt, vermutlich hatte er eine üble Schlägerei hinter sich.
    » Wer ist das?«, wollte sie wissen. » Er starrt schon die ganze Zeit zu uns herüber. Kennst du ihn?« Sie hoffte, dass Kunun diese Provokation nicht dazu nutzte, den Fremden verprügeln zu lassen. Trotzdem wunderte sie sich darüber, dass er eine solche Frechheit überhaupt duldete.
    » Du kennst ihn wirklich nicht?«
    » Nicht dass ich wüsste. So einen Typen vergisst man doch nicht.« Immerhin sah der Blonde ziemlich gut aus, wie der missratene Sohn einer reichen Familie, der seine Verachtung ausdrückte, indem er sich möglichst unpassend benahm.
    » Er heißt Mattim.«
    Sie zuckte die Achseln. » Verwandtschaft von dir?«
    » Mein kleiner Bruder«, erklärte Kunun.
    » Ah.«
    » Das scheint dich nicht zu überraschen?« Er blickte sie von der Seite an.
    » Nicht wirklich. Ihr ähnelt euch irgendwie. Ist er das schwarze Schaf der Familie?«
    Kunun lachte. » So könnte man es ausdrücken. Er war schon immer anders als wir alle– und nicht unbedingt im positiven Sinne.« Er legte den Arm um Hannas Schultern und zog sie näher zu sich heran. » Komm, wir begrüßen ihn. Du könntest etwas Nettes zu ihm sagen, so was wie: Ich hoffe, wir werden Freunde. Aber wundere dich nicht, wenn er unhöflich zu dir ist. Gutes Benehmen ist nicht gerade seine Stärke.« Er ließ ihre Hand nicht los, während er auf seinen Bruder zuhielt.
    Interessiert musterte Hanna den jungen Mann. Sie fand ihn attraktiv, auch wenn er recht wenig daraus machte. Wie er so dastand, die Hände in den Taschen seiner Jacke, wirkte er völlig fehl am Platz. Schüchtern schien er auch noch zu sein; obwohl er vorhin so unverschämt herübergestarrt hatte, wandte er jetzt den Blick ab und verzog das Gesicht, als hätte er Schmerzen.
    » Na, kleiner Bruder, lässt du dich auch mal wieder blicken?« Kunun schlug ihm aufmunternd auf die Schulter.
    Hanna streckte ihm die Hand entgegen. » Hallo«, sagte sie, wie Kunun es ihr geraten hatte. » Ich hoffe, wir werden Freunde.«
    Der hübsche Prinz erbleichte. Seine grauen Augen hatten etwas Steinernes, als er sich an Hanna wandte. » Was soll das?«, stieß er hervor, und jedes einzelne Wort schien ihm unüberwindbare Schwierigkeiten zu bereiten.
    » Ganz ruhig«, sagte Kunun streng. » Und schau sie gefälligst nicht so an, sie gehört zu mir, klar? Es war ihre Entscheidung.«
    Mattim schien etwas sagen zu wollen, doch dann presste er die Lippen aufeinander und drehte sich abrupt um.
    » He, warte, Freundchen. Vielleicht ist Hanna so lieb und tanzt mit dir?«
    » Ich kann nicht tanzen«, sagte Mattim. » Als ich aufgewachsen bin, befand Akink sich im Krieg. Ich habe kämpfen gelernt, sonst nichts.« Damit verschwand er zwischen den Feiernden.
    » Was hat der denn für ein Problem?«, fragte Hanna irritiert.
    Kunun lächelte. Die seltsame Begegnung schien ihn nicht etwa zu frustrieren, sondern vielmehr zu erheitern. » Ich sag’s doch, er passt nicht richtig in unsere Familie.«
    » Ich fand es ziemlich unverschämt, wie er mich angesehen hat«, meinte sie. » Irgendwie fast unheimlich. Er kann es wohl nicht ertragen, wenn du eine Freundin hast?«
    Sein Grinsen wurde noch etwas breiter. » Du hast es recht schnell erfasst. Der arme Junge ist zerfressen von Eifersucht. Sein ganzes Leben lang hat er geglaubt, er würde den Thron von Akink erben. Schließlich ist er Mamas und Papas kleiner Liebling. Dass ich auf einmal aufgetaucht bin, hat ihn schwer getroffen. Er hängt der verrückten Idee an, dass alles, was mein ist, eigentlich ihm gehören müsste.«
    Hanna ließ das Gesagte auf sich wirken. » Heißt das, er wird versuchen, mich dir abspenstig zu machen?«
    » Hat er denn eine Chance?«, fragte Kunun.
    Sie streckte die Hand aus und legte sie ihm an die Wange. Zärtlich berührte sie die Narbe, die sich über sein Gesicht zog. » Nein«, sagte sie. » Wie kannst du so etwas auch nur denken? Niemand ist wie du.«
    Seine Finger malten die Konturen ihrer Wangenknochen nach, wanderten über ihre Brauen, ihre Ohrmuscheln, über die Linien ihres Halses. » Du bist einzigartig, liebe Hanna. Du kennst überhaupt keine Furcht. Nicht einmal dieses Gesicht

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