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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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ihm? Was hat er damit zu tun? Der war doch gar nicht dabei.«
    » Sie wissen es wirklich nicht. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Erschreckende Möglichkeiten. Unter anderem die, dass Mattim die Wahrheit sagt.«
    Sie blickte ihn verständnislos an und wartete. » Ja?«
    » Ihr Vermächtnis«, murmelte er. » Adrienns Vermächtnis, ihre letzte eigene Entscheidung… Es ist, als ob Kunun alles vertilgen würde. Die Entscheidungen, die Hoffnungen, das Licht, alles… wie ein gigantisches schwarzes Loch, um das alles kreist. Er ist der Mittelpunkt von allem, und wir stürzen auf ihn zu.«
    Gesund klang das auch nicht gerade. Dass Kommissar Bartók sich etwas Hochprozentiges bestellte, passte ebenfalls nicht zu ihm. Was hatte ihn bloß so erschüttert?
    » Ich bedaure sehr, was mit Ihrer Mutter passiert ist«, sagte sie höflich. » Das war bestimmt ein Schock für Sie. Sie sollten eine Auszeit nehmen, wissen Sie.«
    Er kippte den Schnaps hinunter, stand auf und verneigte sich andeutungsweise. » Versichern Sie Kunun meiner unabänderlichen Treue«, sagte er. » Meiner Loyalität. Nein. Besser, Sie sagen ihm gar nichts. Hier, ich bin sicher, meine Mutter wäre damit einverstanden gewesen.«
    Er drückte ihr eine Kamera in die Hand und ging.
    Kopfschüttelnd sah sie ihm nach. Was für eine merkwürdige Begegnung. Die ganze Welt war zu einem Zirkus geworden, aber niemand entsprach mehr der Rolle, in die er anfangs so gut hineingepasst hatte.
    Kunun saß in dem Sessel am Fenster und drehte die Leica in den Händen. » Woher hast du die?«
    » Meine Eltern haben sie mir geschickt. Gestern kam das Paket«, log Hanna. Sie wollte ihm ungern erzählen, von wem die Kamera wirklich war.
    » Warum hast du nichts gesagt? Ich kann dir alles schenken, was du dir wünschst.«
    Kunun wusste nichts von ihren Wünschen, und das war nicht einmal seine Schuld. Sie wollte mehr, als auf den Festen der Schatten zu tanzen oder nachts deprimierte Touristen zu beißen, aber was sie wollte, konnte sie ihm nicht sagen.
    » Warum macht dich das so wütend?«
    Im nächsten Augenblick zog Kunun sie an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. » Tut mir leid«, flüsterte er. » Ich bin nicht gut darin, jemanden zu lieben.«
    Vielleicht waren sie doch möglich, diese Momente der Erkenntnis, goldene Momente, in denen Liebe beides sein durfte: zerbrechlich und unverwüstlich.
    » Ich nehme die Kamera mit auf die Insel. Du kommst nicht mit, oder?«
    » Nein«, sagte er. » Geh ruhig. Ich gehöre ins Dunkel, nicht in die Sonne. Außerdem hast du dafür bezahlt, oder nicht? Das getrunkene Blut wirkt nicht ewig. Lass diesen Freifahrschein nicht verfallen.«
    Mit der großen Badetasche in der Hand stand sie unschlüssig im Zimmer. Schließlich versenkte sie ein Handtuch darin, einen albernen Strohhut und ein Buch, das sie so hielt, dass er den Titel nicht lesen konnte. Liebesromane hätten bei ihm bestimmt nur ein verächtliches Kopfschütteln ausgelöst. Als Letztes verstaute sie die Kamera.
    So ausgerüstet fuhr sie auf die Insel, auf der es von Sonnenanbetern nur so wimmelte. Während über dem Rest der Stadt die schwarze Smogwolke hing, war der Himmel über dem Fluss klar, als hielte die Donau alles Dunkle von sich fern. Deshalb war die Margareteninsel im Moment der schönste, sommerlichste Platz von ganz Budapest, und Hanna war beileibe nicht die Einzige, der das aufgefallen war. Ihr sollte es recht sein, denn sie sehnte sich danach, in der Menge zu verschwinden. Niemand zu sein. Nicht ein Schatten unter Schatten, nicht die Freundin des Königs, sondern ein ganz normales Mädchen.
    Ein bisschen schämte Hanna sich für diese Gedanken. Nichts war mehr normal in diesen Zeiten, und eigentlich sollte sie darüber froh und glücklich sein. Trotzdem war es wie verbotenes Glück, das Handtuch unter einem Baum auszubreiten und sich lang darauf auszustrecken. Zu träumen.
    Sie wusste, dass sie schlief, fühlte es, und dennoch war der Besucher erschreckend real. Er stand vor ihr, vor ihrer Decke im Gras, das Gesicht wie immer im Schatten. So oft er schon zu ihr gekommen war, nie zeigte er sich ihr. Die Stimme kam ihr vertraut vor, so wie ihr die ganze Szene merkwürdig vertraut erschien.
    » Folge dem Traum«, sagte er. » Verdammt, worauf wartest du? Die Zeit läuft ab.«
    Im Traum war es unmöglich zu sprechen, denn ihre Zunge wollte ihr nicht gehorchen. Sich zu bewegen fühlte sich an, wie durch zähflüssigen Morast zu waten. Trotzdem schaffte sie es

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