Der Traum des Wolfs
denn ich muss euch eine schmerzliche Geschichte erzählen«, sagte sie. »Vor dem Angriff der Seanchaner kam Verin und …«
In diesem Augenblick ertönte wieder das Glöckchen in ihrem Kopf. Egwene bewegte sich durch reine Willenskraft. Um sie herum flackerte der Raum, dann stand sie plötzlich draußen im Gang, wo ihre Schutzgewebe gelauert hatten.
Dort wartete Talva, eine dünne Frau mit einem blonden Haarknoten. Einst war sie Mitglied der Gelben Ajah gewesen, aber sie gehörte zu den Schwarzen Schwestern, die aus der Burg geflohen waren.
Gewebe aus Feuer schossen um Talva in die Höhe, aber Egwene arbeitete bereits an einer Abschirmung. Sie rammte sie zwischen die andere Frau und die Quelle und webte sofort Luft, um sie zu fesseln.
Ein Laut ertönte hinter ihr. Egwene dachte nicht nach; sie bewegte sich, verließ sich auf ihre Erfahrung mit Tel’aran’rhiod. Und erschien hinter einer Frau, die gerade einen Flammenspeer auf den Weg schickte. Alviarin.
Egwene stieß ein wütendes Knurren aus und machte sich an die nächste Abschirmung, während Alviarins Flammengewebe die unglückliche Talva traf und sie aufschreien ließ, während ihr Fleisch brannte. Alviarin fuhr herum, stieß einen leisen Schrei aus und löste sich in Luft auf.
Verflucht soll sie sein!, dachte Egwene. Alviarin stand ganz oben auf der Liste der Frauen, die sie gefangen nehmen wollte.
Stille kehrte in den Korridor ein, Talvas geschwärzte und qualmende Leiche brach zusammen. Sie würde nie erwachen; starb man hier, starb man auch in der realen Welt.
Egwene fröstelte. Das mörderische Gewebe war für sie bestimmt gewesen. Ich habe mich zu sehr auf das Machtlenken verlassen, dachte sie. Gedanken sind hier viel schneller als Gewebe, die man erst erschaffen muss. Ich hätte mir Seile um Alviarin vorstellen sollen.
Aber das stimmte so nicht, Seilen hätte Alviarin ausweichen können. Egwene hatte einfach nicht wie eine Traumgängerin gedacht. In letzter Zeit konzentrierte sie sich auf die Aes Sedai und ihre Probleme, und die Macht zu weben war da völlig natürlich gewesen. Aber sie durfte nie vergessen, dass an diesem Ort der Gedanke viel mächtiger als die Eine Macht war.
Egwene schaute auf, als Nynaeve aus dem Saal geschossen kam. Elayne folgte ihr etwas vorsichtiger. »Ich spürte Machtlenken«, sagte Nynaeve. Ihr Blick fiel auf die verbrannte Leiche. »Beim Licht!«
»Schwarze Schwestern«, sagte Egwene und verschränkte die Arme. »Anscheinend wissen sie diese Traum-Ter’ angreale gut zu nutzen. Vermutlich haben sie den Befehl, nachts durch die Weiße Burg zu schleichen. Vielleicht suchen sie nach uns, vielleicht auch nach Informationen, die sie gegen uns benutzen können.« Während Elaidas Herrschaft hatten Egwene und die anderen genau das Gleiche getan.
»Wir hätten uns nicht hier treffen sollen«, sagte Nynaeve. »Nächstes Mal wählen wir einen anderen Ort.« Sie zögerte. »Wenn du einverstanden bist. Mutter.«
»Vielleicht«, sagte Egwene. »Vielleicht auch nicht. Wir besiegen sie nie, wenn wir sie nicht finden.«
»In Fallen zu laufen ist kaum die beste Methode, um sie zu besiegen«, erwiderte Nynaeve tonlos.
»Das kommt nur auf die Vorbereitungen an«, sagte Egwene. Und runzelte die Stirn. Hatte sie da gerade ein Stück schwarzen Stoff gesehen, der hinter einer Ecke verschwand?
Im nächsten Moment stand Egwene genau dort; hinter ihr hallte Elaynes überraschter Fluch durch den Korridor. Unglaublich, was diese Frau für ein Mundwerk hatte.
Der Ort stand leer. Es war unheimlich, beinahe schon zu still. In Tel’aran’rhiod war das normal.
Egwene blieb mit der Einen Macht gefüllt, sprang aber zu den anderen beiden zurück. Sie hatte die Weiße Burg gesäubert, aber ein Krankheitsherd war geblieben, verborgen mitten in ihrem Herzen.
Ich werde dich finden, Mesaana, dachte Egwene und bedeutete den anderen, ihr zu folgen. Sie versetzten sich auf den Hügel, wo Egwene zuvor gewesen war, ein Ort, an dem sie einen genaueren Bericht über die Ereignisse erstatten konnte, die die beiden verpasst hatten.
KAPITEL 15
Nimm einen Stein
N ynaeve eilte durch die gepflasterten Straßen von Tear, den Asha’man Naeff an ihrer Seite. Sie konnte noch immer den Sturm im Norden spüren, weit entfernt, aber furchterregend. Unnatürlich. Und er bewegte sich nach Süden.
Dort oben ritt Lan. »Möge das Licht ihn beschützen«, flüsterte sie.
»Was, Nynaeve Sedai?«, fragte Naeff.
»Nichts.« Langsam gewöhnte sie sich daran, die
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