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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die Hand gegeben, Sinnbild der seit der Taufe bewahrten Reinheit. Nach dem Vaterunser waren sie unter dem Schleier geblieben, Zeichen der Unterwürfigkeit, der Schamhaftigkeit und der Bescheidenheit, während der Priester, der auf der Epistelseite stand, die vorgeschriebenen Gebete las. Sie hielten noch immer die brennenden Kerzen, die auch eine Mahnung sind, selbst in der Freude der rechtmäßigen Eheschließung an den Tod zu denken. Und es war zu Ende, das Opfer war dargebracht der Celebrans entfernte sich, begleitet vom Zeremoniar, den Rauchfaßträgern und den Akolythen, nachdem er Gott gebeten, die Gatten zu segnen, auf daß sie sähen, wie die Kinder ihrer Kinder wachsen und sich vermehren bis ins dritte und vierte Glied.
    In diesem Augenblick jauchzte die ganze Kathedrale auf. Die Orgel stimmte den Triumphmarsch an, mit solchem Donnerhall, daß das alte Gebäude erbebte. Erschauernd stand die Menschenmenge, reckte sich, um zu sehen; Frauen stiegen auf die Stühle, bis tief hinein in die dunklen Kapellen der Seitenschiffe drängte sich Kopf an Kopf; und alle diese Menschen lächelten mit klopfendem Herzen. Die Tausende von Kerzen schienen bei diesem Abschied höher zu brennen, ihre Flammen emporreckend, Feuerzungen, in deren Schein die Gewölbe schwankten. Ein letztes Hosianna der Geistlichkeit stieg aus den Blumen und dem Grün inmitten der Pracht der Zierate und heiligen Gefäße empor. Doch plötzlich durchbrach das Hauptportal unter der Orgel, dessen beide Türflügel geöffnet wurden, die düstere Wand mit einer weiten Fläche hellen Tageslichts. Es war der klare Aprilmorgen, die lebendige Frühlingssonne, der Place du Cloître mit seinen fröhlichen weißen Häusern; und dort wartete eine andere, noch zahlreichere Menschenmenge mit noch ungeduldigerer Teilnahme auf die Neuvermählten, schon bewegt von Winken und freudigen Zurufen.
    Die Kerzen waren verblaßt, die Orgel übertönte mit ihrem Donner den Lärm der Straße.
    Und langsamen Schrittes gingen Angélique und Félicien zwischen dem Spalier der Gläubigen auf das Portal zu. Nach dem Triumph trat sie aus dem Traum heraus, wandelte nun hienieden, um in die Wirklichkeit einzutreten. Dieser Vorhof grellen Lichtes tat sich zu der Welt hin auf, die sie nicht kannte; und sie verlangsamte den Schritt noch mehr, sie betrachtete die munteren Häuser, die lärmende Menge, alles, was nach ihr verlangte und sie grüßte. Ihre Schwäche war so groß, daß ihr Mann sie beinahe tragen mußte. Dennoch lächelte sie immerfort, dachte sie an jenes fürstliche Haus voller Juwelen und königlicher Gewänder, in dem das ganz mit weißer Seide ausgeschlagene Brautgemach ihrer harrte. Ein Erstickungsanfall ließ sie innehalten, dann brachte sie die Kraft auf, noch einige Schritte zu tun. Ihr Blick war auf den Ring an ihrem Finger gefallen, sie lächelte über dieses Band für die Ewigkeit. Auf der Schwelle des Hauptportals wankte sie oben auf den Stufen, die zum Platz hinabführten. Hatte sie nicht das Glück bis zur Neige gekostet? Endete nicht hier die Freude des Seins? Sie reckte sich mit einer letzten Anstrengung empor, sie legte ihren Mund auf den Mund Féliciens. Und in diesem Kuß verschied sie.
    Doch der Tod war ohne Traurigkeit. Der Bischof half mit seiner gewohnten Gebärde priesterlichen Segens dieser Seele, sich zu befreien, da er selber ruhig geworden und zum göttlichen Nichts zurückgekehrt war. Die Huberts, denen vergeben worden und die wieder ins Leben traten, hatten das verzückte Empfinden, ein Traum gehe zu Ende. Die ganze Kathedrale, die ganze Stadt war voller Festesfreude. Die Orgel erbrauste lauter, die Glocken läuteten in vollem Schwunge, die Menge jauchzte dem Liebespaar auf der Schwelle der mystischen Kirche im Strahlenglanz der Frühlingssonne zu. Und es war ein triumphales Entschweben, in der Verwirklichung ihres Traumes wurde Angélique, die Glückliche, Reine, Zarte, davongetragen, aus den dunklen romanischen Kapellen zu den flammenden gotischen Gewölben, aus den Resten von Gold und Malereien mitten in das Paradies der Legenden entrückt.
    Félicien hielt nur noch ein sehr liebliches und sehr zartes Nichts, dieses Brautgewand, ganz aus Spitzen und Perlen, eine Handvoll leichter, noch warmer Federn eines Vogels. Seit langem hatte er sehr wohl gefühlt, daß er einen Schatten sein eigen nannte. Die Erscheinung, die aus dem Unsichtbaren gekommen, kehrte ins Unsichtbare zurück. Es war nur ein Schein, der verlosch, nachdem er ein Trugbild

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