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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schon vor den anderen wach war, in ihrem großen Bett eine Minute lang verzweifelte Schwäche und fürchtete, sie werde sich nicht aufrecht halten können. Sie versuchte es, fühlte, wie ihre Beine versagten; und die tapfere Heiterkeit, die sie seit Wochen zur Schau trug, Lügen strafend, schrie eine schreckliche Angst, die letzte Todesangst, aus ihrem ganzen Sein. Sowie sie jedoch dann Hubertine fröhlich hereinkommen sah, war sie überrascht, daß sie gehen konnte, denn das waren nicht mehr ihre eigenen Kräfte, sicher kam ihr Hilfe aus dem Unsichtbaren, trugen sie Freundeshände. Man kleidete sie an, sie wog nichts mehr, sie war so leicht, daß ihre Mutter sich scherzend darüber wunderte und zu ihr sagte, sie solle sich nicht noch mehr bewegen, wenn sie nicht davonfliegen wollte. Und während der ganzen Zeit des Ankleidens erschauerte das kühle kleine Haus der Huberts, das an der Seite der Kathedrale lebte, vom ungeheuren Odem der Riesin, von dem, was von der Trauungszeremonie darin schon summte, die fieberhafte Geschäftigkeit des Klerus, das Dröhnen der Glocken vor allem, ein fortwährendes jubelndes Schwingen, von dem die alten Steine erzitterten.
    Über der Oberstadt läuteten seit einer Stunde die Glocken wie bei den Hochfesten. Die Sonne war strahlend aufgegangen, ein durchsichtiger Aprilmorgen, ein Regenschauer von Frühlingsstrahlen, belebt von den Glockenklängen, welche die Einwohner auf die Beine gebracht hatten. Ganz Beaumont war voller Freude über die Hochzeit der kleinen Stickerin, an der aller Herzen hingen. Diese schöne Sonne, die durch die Straßen flutete, war wie der Goldregen, wie die märchenhaften Almosen, die aus ihren zerbrechlichen Händen rieselten. Und in dieser Freude des Lichts begab sich die Menge in Scharen zur Kathedrale, füllte die Seitenschiffe, ergoß sich über den Place du Cloître. Hier reckte sich die große Fassade gleich einem üppig blühenden steinernen Strauß von formenreichster Gotik über dem strengen romanischen Unterbau in die Höhe. In den Türmen läuteten die Glocken fort und fort, und die Fassade schien der Glorienschein dieser Hochzeit zu sein, das durch ein Wunder bewirkte Aufschweben dieses armen Mädchens, alles, was sich emporschwang und aufloderte, mit dem durchbrochenen Spitzenwerk, dem lilienhaften Blühen der Säulchen, der Brüstungen, der Arkaden, der von Baldachinen überdachten Heiligennischen, der in Dreipässen ausgekehlten, mit Weinreben und Kreuzblumen verzierten Wimperge, der riesigen Fensterrosen, die das mystische Strahlen ihres Maßwerks erblühen ließen. Um zehn Uhr erbrauste die Orgel, Angélique und Félicien hielten ihren Einzug, gingen mit kleinen Schritten zwischen den dichtgedrängten Reihen der Menge zum Hauptaltar. Ein Hauch gerührter Bewunderung ließ die Köpfe hin und her wogen. Er, der sehr bewegt war, schritt stolz und ernst vorüber in seiner blonden Schönheit eines jungen Gottes und wirkte noch schlanker durch die Strenge des schwarzen Fracks. Doch sie vor allem brachte die Herzen in Wallung, so anbetungswürdig, so göttlich war sie im geheimnisvollen Zauber einer Erscheinung. Ihr Kleid war aus weißem Moiree, nur mit alter Mechelner Spitze bedeckt, die von Perlen gehalten wurde, von feinen Perlenschnüren, die die Verzierungen des Mieders und die Volants des Rockes hervortreten ließen. Ein Schleier aus alten englischen Spitzen, der mit einer dreifachen Perlenkrone auf dem Kopfe befestigt war, hüllte sie ein, reichte bis zu den Fersen hinunter. Und nichts sonst, nicht eine Blume, nicht ein Schmuckstück, nichts als diese schwerelose Woge, diese erschauernde Wolke, die ihr Gesichtchen, das so süß war wie bei den Jungfrauen in den Kirchenfenstern, mit den Veilchenaugen, mit dem goldenen Haar wie auf Flügeln dahinschweben ließ.
    Zwei dunkelrote Samtsessel erwarteten Félicien und Angélique vor dem Altar; und hinter ihnen knieten, während die Orgel ihren Willkommensgruß weiterklingen ließ, Hubert und Hubertine auf den für die Familie bestimmten Betstühlen nieder. Am Abend zuvor war ihnen eine unermeßliche Freude zuteil geworden, von der sie noch immer überwältigt waren, und sie fanden nicht genug Dankgebete für ihr eigenes Glück, das sich dem Glück ihrer Tochter zugesellte. Hubertine, die noch einmal zum Friedhof gegangen war in dem traurigen Gedanken, wie einsam sie hinfort sein würden, wie leer das Häuschen sein würde, wenn die geliebte Tochter nicht mehr da wäre, hatte ihre Mutter lange

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