Der Traum
daß sie ihn wohl doch nicht liebe.
»Sieh, mein Kind, das betrifft dich«, erklärte Hubert. »Der Herr kommt, um eine außergewöhnliche Arbeit bei uns in Auftrag zu geben. Und um in Ruhe darüber zu plaudern, habe ich ihn lieber hier heraufgebeten ... Meiner Tochter müssen Sie Ihren Entwurf zeigen, mein Herr.«
Weder er noch Hubertine hegten den geringsten Verdacht. Sie traten nur neugierig näher.
Doch Félicien war wie auch Angélique vor Erregung die Kehle wie zugeschnürt. Seine Hände zitterten, als er den Entwurf aufrollte; und er mußte langsam sprechen, um den Aufruhr in seiner Stimme zu verbergen.
»Es ist eine Mitra für den hoch würdigsten Herrn Bischof ... Ja, einige Damen aus der Stadt, die ihm dieses Geschenk machen wollen, haben mich beauftragt, die einzelnen Teile zu entwerfen und ihre Ausführung zu überwachen. Ich bin Glasmaler, aber ich befasse mich auch viel mit alter Kunst ... Sie sehen, ich habe lediglich eine gotische Mitra nachgezeichnet ...«
Angélique, die sich über das große Blatt gebeugt hatte, das er vor sie hinlegte, entschlüpfte ein leiser Aufschrei.
»Oh! Die heilige Agnes!«
Es war in der Tat die dreizehnjährige Märtyrerin, die Jungfrau, die nackt war und in ihr Haar gehüllt, aus dem nur ihre kleinen Füße und ihre kleinen Hände hervorsahen, so wie sie auf ihrem Pfeiler an einer der Türen der Kathedrale stand, so vor allem, wie man sie im Innern in einer alten Holzstatue wiederfand, die einst bemalt, heute von fahlrotem Blond und vom Alter ganz vergoldet war. Die Heilige nahm die ganze Vorderseite der Mitra ein, stand aufrecht da, zum Himmel entrückt, von zwei Engeln emporgetragen; und unter ihr breitete sich eine sehr ferne, sehr zarte Landschaft. Die Rückseite und die Bänder waren mit lanzettförmigen Verzierungen in schönem Stil geschmückt.
»Diese Damen«, begann Félicien wieder, »machen das Geschenk zur Wunderprozession, und ich glaubte natürlich, die heilige Agnes wählen zu müssen ...«
»Der Gedanke ist ausgezeichnet«, unterbrach Hubert.
Hubertine sagte ihrerseits:
»Der hochwürdigste Herr Bischof wird sehr gerührt sein.«
Die Wunderprozession, die jedes Jahr am 28. Juli stattfand, hatte Johann V. d˜Hautecœur eingeführt, zum Dank für die wunderbare Heilkraft, die Gott ihm und seinem Geschlecht gesandt, um Beaumont von der Pest zu erretten. Die Legende berichtete, daß die Hautecœur diese Kraft der Fürbitte der heiligen Agnes verdankten, der sie tief ergeben waren, und daher stammt also der uralte Brauch, alljährlich zu diesem Zeitpunkt die alte Statue der Heiligen aus der Kirche hinaus und feierlich durch die Straßen der Stadt zu tragen, in dem frommen Glauben, daß sie fürderhin alle Übel von ihr fernhielte.
»Für die Wunderprozession«, murmelte schließlich Angélique und starrte dabei auf den Entwurf, »aber das ist ja schon in zwanzig Tagen, die Zeit langt dafür auf keinen Fall.«
Die Huberts schüttelten den Kopf. Eine solche Arbeit verlangte in der Tat unendliche Sorgfalt.
Hubertine jedoch wandte sich an das junge Mädchen:
»Ich könnte dir ja helfen und die Verzierungen übernehmen, und du brauchst dann nur die Gestalt zu arbeiten.«
In ihrer Verwirrung betrachtete Angélique noch immer prüfend die Heilige. Nein, nein! Sie weigerte sich, sie wehrte sich gegen die süße Verlockung, darauf einzugehen. Es wäre ganz bestimmt schlecht, seine Mitwisserin zu sein; denn sicherlich log Félicien, sie fühlte sehr wohl, daß er nicht arm war, daß er unter dieser Arbeiterkleidung sein wahres Wesen versteckte; und diese gespielte Einfachheit, diese ganze Geschichte, um bis zu ihr vorzudringen, ließ sie auf der Hut sein, wobei sie im Grunde ihren Spaß und ihre Freude daran hatte, ihn zu verklären, in ihm den Königssohn zu sehen, der er sein sollte, denn sie lebte in der unbedingten Gewißheit, daß ihr Traum ganz Wirklichkeit werde.
»Nein«, wiederholte sie mit halber Stimme, »die Zeit würde dafür nicht mehr ausreichen.« Und ohne aufzublicken, fuhr sie fort, als spräche sie zu sich selbst: »Für die Heilige kann man weder Flachstich noch Sprengtechnik anwenden. Das wäre unwürdig ... Es muß Lasurstickerei sein.«
»Eben«, sagte Félicien, »ich habe auch an solche Stickerei gedacht, ich wußte, daß Sie dem Geheimnis dieser Stickerei wieder auf die Spur gekommen sind ... Ein recht schönes Fragment kann man noch in der Sakristei sehen.«
Hubert begeisterte sich:
»Ja, ja, es stammt aus dem fünfzehnten
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