Der Traum
Jahrhundert, eine meiner Urgroßmütter hat es gestickt ... Lasurstickerei, ach! Es gab keine schönere Arbeit, mein Herr. Aber sie erforderte zuviel Zeit, sie kostete zuviel, außerdem verlangte sie wirkliche Künstler. Seit zweihundert Jahren wird diese Arbeit nicht mehr gemacht ... Und wenn meine Tochter es ablehnt, können Sie darauf verzichten, denn sie allein kann das heutzutage noch machen, ich kenne sonst niemand, der über das notwendige Feingefühl des Auges und der Hand verfügt.«
Seit von Lasurstickerei die Rede war, hörte Hubertine achtungsvoll zu. Überzeugt fügte sie hinzu:
»In zwanzig Tagen, wirklich, das ist unmöglich ... Man braucht eine märchenhafte Geduld dazu.«
Aber während Angélique die Heilige unbeweglich anschaute, hatte sie eine Entdeckung gemacht, die ihr Herz mit Freude überflutete. Agnes sah ihr ähnlich. Beim Zeichnen der alten Statue hatte Félicien gewiß an sie gedacht; und der Gedanke, daß sie auf diese Weise immer gegenwärtig sein, daß er sie überall wiedersehen würde, machte sie wankend in ihrem Entschluß, ihn mit seinem Wunsch abzuweisen. Sie hob endlich die Stirn, sie sah, wie er zitterte und seine Augen feucht wurden von so inbrünstigem Flehen, daß sie besiegt war. Allein aus jener Arglist heraus, aus jenem natürlichen Wissen, das den Mädchen zu eigen ist, selbst wenn sie noch von nichts wissen, wollte sie nicht den Anschein erwecken, als willige sie ein.
»Das ist unmöglich«, wiederholte sie und gab ihm den Entwurf zurück. »Ich würde es für niemand tun.«
Félicien machte eine Gebärde wahrer Verzweiflung. Ihn selber wies sie damit zurück, so glaubte er ihr Verhalten deuten zu müssen. Er brach auf und sagte noch zu Hubert:
»Was das Geld betrifft, so wäre gezahlt worden, was Sie verlangt hätten ... Diese Damen würden bis zu zweitausend Francs anlegen ...«
Das Ehepaar Hubert war bestimmt nicht eigennützig. Und dennoch beeindruckte sie diese große Summe. Der Mann hatte die Frau angesehen. War das ärgerlich, sich einen so vorteilhaften Auftrag entgehen zu lassen!
»Zweitausend Francs«, begann Angélique wieder mit ihrer sanften Stimme, »zweitausend Francs, mein Herr ...« Und sie, die auf das Geld keinen Wert legte, lächelte ein schelmisches Lächeln, das kaum ihre Mundwinkel umspielte, und es machte ihr Spaß, daß sie sich das Vergnügen, ihn zu sehen, nicht anmerken ließ und daß er eine falsche Meinung von ihr bekommen mußte. »Oh, zweitausend Francs, mein Herr! Ich nehme an ... Ich würde es sonst für niemand tun, aber wenn man anständig dafür zahlen will ... Wenn es sein muß, werde ich die Nächte durcharbeiten.«
Nun wollten Hubert und Hubertine ihrerseits ablehnen, aus Furcht, Angélique könne sich dabei überanstrengen.
»Nein, nein, man kann das Geld, das einem da zuläuft, nicht wegschicken ... Rechnen Sie auf mich. Ihre Mitra wird am Abend vor der Prozession fertig sein.«
Félicien ließ den Entwurf da und verabschiedete sich blutenden Herzens, ohne den Mut aufzubringen, weitere Erklärungen zu geben und so einen Vorwand zu haben, noch länger zu bleiben. Sie liebte ihn gewiß nicht, sie hatte ihn absichtlich nicht wiedererkannt und ihn wie einen gewöhnlichen Kunden behandelt, bei dem es einem nur aufs Geld ankommt. Zunächst geriet er in Harnisch, er beschuldigte sie, eine niedere Seele zu haben. Um so besser! Es war aus, er würde nicht mehr an sie denken. Als er dann immer wieder an sie dachte, entschuldigte er sie schließlich: Lebte sie nicht von ihrer Arbeit, mußte sie nicht ihr Brot verdienen? Zwei Tage später war er sehr unglücklich, begann er umherzustreifen, war ganz krank, weil er sie nicht sah. Sie ging nicht mehr aus dem Haus, sie erschien nicht einmal mehr am Fenster. Und er sagte sich schließlich, daß er sie, wenn sie ihn auch nicht liebte, wenn sie nur das Geld liebte, mit jedem Tag mehr liebte, so wie man mit zwanzig Jahren liebt, ohne Sinn und Verstand, wie der Zufall das Herz gerade trieb, nur um der Freude und des Schmerzes an der Liebe willen. Eines Abends hatte er sie gesehen, und es war um ihn geschehen: jetzt war es diese und keine andere; wie sie auch immer sein mochte, schlecht oder gut, häßlich oder hübsch, arm oder reich, es wäre sein Tod, wenn sie nicht die Seine würde. Am dritten Tag wurden seine Leiden so groß, daß er trotz seines Schwures, sie zu vergessen, wieder zu den Huberts ging.
Als er geläutet hatte, wurde er unten wiederum von dem Sticker empfangen, der sich
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