Der Traum
angesichts seiner unklaren Erläuterungen entschloß, ihn wieder mit nach oben zu nehmen.
»Meine Tochter, der Herr wünscht dir verschiedenes zu erklären, das ich nicht so recht verstehe.«
Da stammelte Félicien:
»Wenn es Sie nicht zu sehr stört, würde ich mich gern überzeugen ... Diese Damen haben mir ans Herz gelegt, die Arbeit persönlich zu verfolgen ... Sofern ich nicht störe ...«
Als Angélique ihn eintreten sah, fühlte sie, wie ihr Herz heftig bis in die Kehle hinauf schlug. Sie bekam keine Luft. Doch sie zwang ihr Herz mit einiger Anstrengung zur Ruhe; das Blut stieg ihr nicht einmal in die Wangen; und sehr ruhig erwiderte sie mit gleichgültigem Ausdruck:
»Oh, mich stört nichts, mein Herr. Ich arbeite ebenso gut, wenn jemand dabei ist ... Der Entwurf ist von Ihnen, also ist es nur natürlich, daß Sie seine Ausführung verfolgen.«
Félicien war so aus der Fassung gebracht, daß er sich nicht zu setzen gewagt hätte ohne die freundliche Begrüßung durch Hubertine, die mit ihrem ernsten Lächeln diesem guten Kunden zulächelte. Dann machte sie sich gleich wieder an die Arbeit, und über den Stickrahmen gebeugt, stickte sie in Sprengtechnik die gotischen Verzierungen für die Rückseite der Mitra. Hubert hatte soeben eine geleimte fertige Kirchenfahne von einem Haken an der Wand genommen, die dort seit zwei Tagen trocknete und die er abspannen wollte. Keiner sprach mehr, die beiden Stickerinnen und der Sticker arbeiteten, als wäre niemand weiter im Raum.
Und der junge Mann beruhigte sich ein wenig inmitten dieses tiefen Friedens. Es schlug drei Uhr, der Schatten der Kathedrale wurde schon länger, feines Zwielicht fiel durch das weit offene Fenster herein. Es war die Dämmerstunde, die für das kühle und grünumsponnene kleine Haus zu Füßen des Kolosses schon um die Mittagszeit begann. Man hörte das leichte Schlurfen von Schuhen auf den Steinfliesen, ein Mädchenpensionat, das zur Beichte geführt wurde. Die alten Werkzeuge, die alten Wände in der Werkstatt, alles, was dort unveränderlich blieb, schien den Schlaf der Jahrhunderte zu schlafen; und davon ging auch viel Kühle und Ruhe aus. Ein großes Viereck gleichmäßigen und reinen weißen Lichts fiel auf den Stickrahmen, über den sich im fahlroten Widerschein des Goldes die Stickerinnen mit ihren zarten Profilen beugten.
»Mademoiselle Angélique, ich wollte Ihnen sagen«, begann Félicien verlegen, weil er fühlte, daß er sein Kommen begründen müsse, »ich wollte Ihnen sagen, daß mir für das Haar Gold besser zu sein scheint als Seide.«
Sie hatte den Kopf gehoben. Das Lachen ihrer Augen besagte deutlich, daß er sich nicht hätte zu bemühen brauchen, wenn er ihr nichts anderes zu empfehlen hatte. Und sie beugte sich wieder vor, während sie mit sanft spöttischer Stimme erwiderte: »Gewiß, mein Herr.«
Was er gesagt hatte, war sehr töricht, denn er merkte erst jetzt, daß sie gerade an den Haaren arbeitete. Vor ihr lag sein Entwurf, aber mit Wasserfarben getuscht, mit Gold aufgetragen, in dem lieblichen Goldton einer alten Miniatur, die in einem Gebetbuch verblichen ist. Und sie kopierte dieses Bild mit der Geduld und der Geschicklichkeit eines Künstlers, der mit der Lupe zeichnet. Nachdem sie es mit etwas grobem Strich auf straff gespanntem, mit kräftiger Leinwand unterlegtem weißem Atlas nachgebildet, hatte sie den Atlas mit von links nach rechts geworfenen, nur an den beiden Enden befestigten Goldfäden bedeckt, die frei auflagen und sich alle berührten. Indem sie diese Fäden wie einen Einschlag benutzte, schob sie sie dann mit der Spitze ihrer Nadel auseinander, um darunter die Zeichnung wiederzufinden; sie ging dieser Zeichnung nach, nähte die Goldfäden mit seidenen Überfangstichen fest, die sie den Schattierungen der Vorlage anpaßte. Bei den Schattenpartien verdeckte die Seide das Gold vollständig; bei den halbdunklen Stellen lagen die Stiche immer weiter auseinander; und die Lichtstellen bestanden ganz aus Gold, das unbedeckt gelassen war. Das war die Goldlasurstickerei, bei der die Nadel den goldenen Untergrund mit Seide schattierte, und so entstand ein Gemälde aus zerschmelzenden, gleichsam von unten her durch einen Glorienschein erwärmten Farben von mystischem Glanz.
»Ach!« sagte unvermittelt Hubert, der die Kirchenfahne abzuspannen begann, indem er die Schnur der seitlichen Spannung auf seine Finger wickelte, »das Meisterstück einer Stickerin früher war eine Goldlasurstickerei ... Sie
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