Der Traum
brauche.«
»Lieben Sie denn Ihre Arbeit nicht?«
»Ich? Ich liebe nichts.«
Hubertine mußte sie streng zum Schweigen bringen. Und sie bat Félicien, es diesem nervösen Kind nicht übelzunehmen, sie sagte ihm, daß die Mitra am nächsten Tage frühmorgens zu seiner Verfügung sei.
Das war eine Verabschiedung, aber er ging nicht fort, er betrachtete die alte Werkstatt mit ihrem Schatten und ihrem Frieden, als wolle man ihn aus dem Paradies verjagen. Hier hatte er das Trugbild so süßer Stunden geschaut, und er fühlte es schmerzlich, daß sein Herz hier zurückblieb, ihm aus dem Leibe gerissen! Ihn quälte, daß er seine Liebe nicht erklären konnte, daß er die entsetzliche Ungewißheit wieder mit sich fortnahm. Schließlich mußte er gehen.
Kaum hatte sich die Tür wieder geschlossen, fragte Hubert:
»Was hast du denn, mein Kind? Ist dir etwas?«
»Ach nein, ich habe mich über diesen Burschen geärgert. Ich will ihn nicht mehr sehen.«
Und Hubertine entschied alsdann:
»Gut, du wirst ihn nicht mehr sehen. Allerdings ist das kein Grund, nicht höflich zu sein.«
Angélique hatte gerade noch Zeit, unter einem Vorwand in ihr Zimmer hinaufzugehen. Dort brach sie in Tränen aus. Oh, wie glücklich war sie, und wie unglücklich zugleich. Ihr lieber, armer Liebling, wie traurig hatte er davongehen müssen! Aber sie hatte bei allen Heiligen geschworen, sie würde ihn bis zum Tode lieben, und niemals sollte er es erfahren.
Kapitel VII
Am Abend desselben Tages klagte Angélique gleich nach Tisch über große Übelkeit und ging wieder in ihr Zimmer hinauf. Die Aufregungen des Vormittags, ihre Kämpfe gegen sich selbst hatten sie sehr mitgenommen. Sie ging sofort zu Bett, sie brach erneut in Tränen aus und hatte in dem verzweifelten Verlangen, ganz zu verschwinden, nicht mehr zu sein, den Kopf unter dem Bettuch vergraben.
Die Stunden verflossen, es war Nacht geworden, eine glühendheiße Julinacht, deren lastender Friede durch das weit offengelassene Fenster hereindrang. Am dunklen Himmel funkelte ein Gewimmel von Sternen. Es mußte nahezu elf Uhr sein, der schon schmal gewordene Mond, der im letzten Viertel stand, würde erst gegen Mitternacht aufgehen.
Und in dem dunklen Zimmer weinte Angélique noch immer mit unversiegbarer Tränenflut, als ein Knarren an ihrer Tür sie den Kopf heben ließ.
Stille trat ein, dann rief eine Stimme sie zärtlich:
»Angélique ... Angélique ... mein Liebling ...«
Sie hatte Hubertines Stimme erkannt. Zweifellos hatte diese, als sie mit ihrem Mann zu Bett ging, das ferne Schluchzen gehört; und beunruhigt ging sie, schon halb entkleidet, hinauf, um nachzusehen.
»Angélique, bist du krank?«
Das junge Mädchen hielt den Atem an und antwortete nicht. Sie verspürte nur ein unendliches Verlangen nach Alleinsein, nach der einzigen Erleichterung in ihrem Weh. Ein Trost, eine Liebkosung, selbst von ihrer Mutter, hätte sie verletzt. Sie stellte sie sich vor, wie sie da hinter der Tür stand mit bloßen Füßen, was sie an dem sanften Hinstreifen über den Fliesenboden erriet. Zwei Minuten vergingen, und sie fühlte, daß die Mutter noch immer, vorgebeugt und das Ohr ans Holz gepreßt, dastand und mit ihren schönen Armen ihr aufgegangenes Nachtgewand zusammenhielt.
Da Hubertine nichts mehr vernahm, nicht einmal einen Atemzug, wagte sie nicht noch einmal zu rufen. Sie war ganz sicher, Klagelaute gehört zu haben; doch wenn das Kind schließlich eingeschlafen war, wozu es dann aufwecken? Sie wartete noch eine Minute, denn sie machte sich Sorge über diesen Kummer, den ihre Tochter vor ihr verbarg, den sie aber dunkel ahnte, weil sie selbst von einer großen, zärtlichen Rührung erfüllt war. Und sie entschloß sich, wieder hinunterzugehen, so wie sie heraufgekommen, und sich mit den Händen, die mit den kleinsten Biegungen der Treppe vertraut waren, hinabzutasten, ohne in dem dunklen Haus ein anderes Geräusch zu verursachen als das sanfte Streifen ihrer bloßen Füße.
Jetzt horchte Angélique, die aufrecht in ihrem Bette saß. Es war so vollkommen still, daß sie das leise Aufsetzen der Fersen am Rande jeder Stufe unterschied. Unten öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer und schloß sich wieder; dann vernahm sie ein kaum hörbares Murmeln, ein liebevolles und trauriges Flüstern; zweifellos sprachen ihre Eltern über sie, über ihre Befürchtungen, ihre Wünsche; und das hörte nicht auf, obgleich sie sich längst hingelegt haben mußten, nachdem sie das Licht
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