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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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rührte sich nicht, ganz benommen von diesem plötzlichen Glück.
    Und Angélique war jetzt sicher, daß die Heiligen ihr nicht verwehrten zu lieben, denn sie hörte, wie sie ihn zusammen mit ihr empfingen mit einem wohlwollenden Lachen, so schwerelos wie der Atem der Nacht. Wie hatte sie nur so töricht sein können, anzunehmen, Agnes würde böse sein? Agnes neben ihr strahlte eine Freude aus, die sie auf ihre Schultern herabsinken und sie einhüllen fühlte gleich der Liebkosung zweier großer Fittiche. Alle, die aus Liebe gestorben waren, zeigten Mitgefühl für die Qualen der Jungfrauen und irrten nur wieder in den heißen Nächten umher, um unsichtbar über ihre tränenreiche Liebe zu wachen.
    »Kommen Sie zu mir, ich habe auf Sie gewartet.«
    Da taumelte Félicien herein. Er hatte sich eingeredet, daß er sie begehrte, daß er sie trotz ihrer Schreie so fest in seine Arme reißen würde, daß sie schier erstickte. Und nun, da er sie so sanft fand, nun, da er in dieses ganz weiße, so reine Gemach eindrang, wurde er wieder argloser und schwächer als ein Kind.
    Er hatte drei Schritte getan. Doch er erschauerte, er fiel weitab von ihr auf beide Knie.
    »Wenn Sie wüßten, welch gräßliche Qual ich leide! Ich hatte niemals so gelitten, es gibt nur einen einzigen Schmerz, sich nicht geliebt zu glauben ... Ich will gern alles verlieren, will ein Elender sein, der Hungers stirbt, sich in Krankheit windet. Aber ich will nicht einen Tag mehr verbringen mit diesem verzehrenden Leid im Herzen, mir sagen zu müssen, daß Sie mich nicht lieben ... Seien Sie gut, schonen Sie meiner ...«
    Stumm, überwältigt von Mitleid und dennoch glücklich, hörte sie ihm zu.
    »Wie haben Sie mich heute morgen fortgehen lassen! Ich bildete mir ein, Sie seien besser geworden, Sie hätten begriffen. Und ich habe Sie so wiedergefunden wie am ersten Tag, gleichgültig. Sie haben mich wie einen einfachen Kunden behandelt, der zufällig vorbeikommt, und mich schroff an die niedrigen Fragen des Lebens gemahnt ... Auf der Treppe strauchelte ich. Draußen bin ich gerannt, ich fürchtete in Tränen auszubrechen. Als ich dann zu mir hinaufgehen wollte, war mir, als müßte ich ersticken, wenn ich mich einschlösse ... Da bin ich hinaus aufs freie Feld geflohen, bin ziellos gewandert, Weg um Weg. Es wurde Nacht, ich wanderte noch immer. Aber die Qual galoppierte ebenso schnell und verzehrte mich. Wenn man liebt, kann man der Qual seiner Liebe nicht entfliehen ... Sehen Sie! Hier hatten Sie das Messer hineingestoßen, und die Spitze drang immer tiefer hinein.« Bei dem Gedanken an seine Qual entrang sich seinen Lippen eine lange Klage. »Ich habe stundenlang im Gras gelegen, vom Leid niedergeworfen wie ein entwurzelter Baum ... Und nichts gab es mehr, es gab nur noch Sie. Der Gedanke, daß Sie nicht die Meine würden, war für mich tödlich. Schon erstarrten meine Glieder, raubte Irrsinn mir den Verstand ... Und deshalb bin ich wiedergekehrt. Ich weiß nicht, wo ich vorbeigekommen bin, wie ich bis zu diesem Zimmer habe gelangen können. Verzeihen Sie mir, ich hätte die Türen mit meinen Fäusten eingeschlagen, ich wäre am hellichten Tag zu Ihrem Fenster hinaufgeklettert ...«
    Sie saß im Schatten. Er, der im Mondenlicht kniete, sah sie nicht, die vor reumütiger Liebe ganz blaß war und so erregt, daß sie nicht zu sprechen vermochte. Er hielt sie für gefühllos, er faltete die Hände.
    »Es liegt schon weit zurück ... Eines Abends habe ich Sie erblickt, hier an diesem Fenster. Sie waren nur ein undeutlicher Schimmer, ich konnte kaum Ihr Gesicht erkennen, und doch sah ich Sie, ahnte ich Sie so, wie Sie sind. Aber ich hatte große Angst, ich bin nächtelang umhergeschlichen, ohne den Mut zu finden, Ihnen am hellichten Tage zu begegnen ... Und außerdem gefielen Sie mir in diesem Geheimnis, mein Glück war es, an Sie zu denken wie an eine Unbekannte, die ich niemals kennenlernen würde ... Später habe ich erfahren, wer Sie sind, man kann dem Bedürfnis, seinen Traum zu erforschen, zu besitzen, nicht widerstehen. Damals hat mein Fieber begonnen. Es hat mit jeder Begegnung zugenommen. Sie erinnern sich, das erste Mal, auf dem Feld, an dem Morgen, als ich das Kirchenfenster untersuchte. Niemals bin ich mir so unbeholfen vorgekommen, Sie haben sich zu Recht über mich lustig gemacht ... Und ich habe Sie dann erschreckt, ich bin weiterhin ungeschickt gewesen, indem ich Sie bis hin zu Ihren armen Leuten verfolgte. Schon hörte ich auf, Herr meines

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