Der Traum
gelöscht hatten. Niemals waren die nächtlichen Geräusche der alten Behausung so bis zu ihr heraufgedrungen. Gewöhnlich schlief sie den tiefen Schlaf der Jugend, sie hörte nicht einmal das Knacken der Möbel, während es ihr jetzt, da sie im Kampf mit ihrer Leidenschaft schlaflos dalag, war, als liebte und klagte das ganze Haus. Erstickten nicht auch die beiden Huberts ihre Tränen, eine ganze Liebe voller Glut und Trostlosigkeit, weil sie unfruchtbar war? Sie wußte nichts, sie hatte in der heißen Nacht einzig das Gefühl, daß die beiden Ehegatten dort unter ihr wach lagen, in großer Liebe und in großem Leid in der langen und keuschen Umarmung einer ewig jungen Hochzeitsnacht.
Und während Angélique dasaß und in das erschauernde und seufzende Haus hineinhorchte, konnte sie nicht an sich halten, ihre Tränen flossen abermals; doch jetzt rannen sie stumm herab, warm und lebendig wie das Blut in ihren Adern. Eine einzige Frage kehrte seit diesem Morgen immer und immer in ihr wieder, verwundete sie in ihrem ganzen Sein: war es recht gewesen von ihr, Félicien in Verzweiflung zu stürzen, ihn so fortzuschicken mit dem wie ein Messer mitten ins Herz gestoßenen Gedanken, daß sie ihn nicht liebe? Sie liebte ihn, und sie hatte ihm dieses Leid zugefügt, und sie selber litt entsetzlich darunter. Warum soviel Schmerz? Verlangten die Heiligen Tränen? Hätte es Agnes verdrossen, sie glücklich zu wissen? Ein Zweifel zerriß sie jetzt. Einst, als sie den erwartete, der kommen mußte, legte sie sich alles besser zurecht: er würde hereinkommen, sie würde ihn erkennen, beide würden sie sehr weit, für immer miteinander fortgehen. Und er war gekommen, und da schluchzten sie nun beide, auf ewig getrennt. Wozu? Was war denn geschehen? Wer hatte den grausamen Schwur von ihr gefordert, ihn zu lieben, ohne es ihm zu sagen?
Doch vor allem die Furcht, die Schuldige zu sein, böse gewesen zu sein, peinigte sie. Vielleicht war das schlechte Mädchen wieder in ihr durchgekommen. Erstaunt rief sie sich ihr gleichgültiges Gehabe wieder ins Gedächtnis, die spöttische Art, mit der sie Félicien empfing, die boshafte Freude, die es ihr bereitete, ihm eine falsche Meinung von ihr zu vermitteln. Ihre Tränen flossen heftiger, ihr Herz zerschmolz in unermeßlichem, unendlichem Mitleid mit dem Leid, das sie so angerichtet hatte, ohne es zu wollen. Sie sah ihn immer wieder fortgehen, der trostlose Ausdruck seines Gesichts war ihr gegenwärtig, seine umflorten Augen, seine zitternden Lippen; und sie ging ihm nach durch die Straßen nach Hause, wie er bleich, zu Tode verwundet durch sie, Tropfen um Tropfen verblutete. Wo war er zu dieser Stunde? Erschauerte er nicht vor Fieber? Ihre Hände preßten sich vor Angst zusammen bei dem Gedanken, daß sie nicht wußte, wie sie das Unheil wiedergutmachen sollte. Ach, Leid bereiten, dieser Gedanke empörte sie! Sie hätte am liebsten sofort gut sein und Glück um sich her schaffen mögen.
Bald mußte es Mitternacht schlagen, die großen Ulmen des bischöflichen Gartens verdeckten den Mond am Horizont, und das Zimmer blieb dunkel. Jetzt dachte Angélique, deren Kopf auf das Kissen zurückgesunken war, nicht mehr nach, sie wollte einschlafen; aber sie konnte nicht, ihre Tränen rannen immer weiter unter ihren geschlossenen Lidern hervor. Und das Denken kehrte wieder, sie dachte an die Veilchen, die sie seit vierzehn Tagen auf dem Balkon vor ihrem Fenster fand, wenn sie hinaufging, um sich schlafen zu legen. Jeden Abend ein Veilchensträußchen. Félicien warf es sicherlich vom ClosMarie herauf, denn sie erinnerte sich, ihm erzählt zu haben, daß allein die Veilchen durch eine besondere Kraft sie beruhigten, während der Duft der anderen Blumen sie dagegen mit schrecklichen Migränen quälte; und er sandte ihr auf diese Weise sanfte Nächte, einen ganz durchdufteten, von guten Träumen erfrischten Schlaf. An diesem Abend, da sie das Sträußchen an das Kopfende ihres Bettes gestellt hatte, kam ihr der glückliche Einfall, es mit ins Bett zu nehmen, sie legte es dicht an ihre Wange und fand Ruhe beim Atmen seines Duftes. Die Veilchen brachten schließlich ihre Tränen zum Versiegen. Sie schlief noch immer nicht, sie blieb mit geschlossenen Augen liegen, in diesen Duft getaucht, der von dem Sträußchen ausging, glücklich, in vertrauensvoller Ergebung ihres ganzen Wesens zu ruhen und zu warten.
Doch ein heftiger Schauer überlief sie. Es schlug Mitternacht, sie öffnete die Lider, sie war
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