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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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durch die Sakristei entfernt hatte, fühlte sie sich völlig allein in der unermeßlichen Einsamkeit der Kirche. Bei diesem Donnergetön des in seinen verrosteten Eisenbeschlägen krachenden alten Beichtstuhls hatte sie geglaubt, der Bischof nahe. Sie wartete bald eine halbe Stunde, und sie war sich dessen gar nicht bewußt, vor Aufregung merkte sie nicht, wie die Zeit verrann.
    Doch ein neuer Name hielt ihren Blick fest, Félicien III., der mit einer Kerze in der Hand ins Heilige Land gepilgert war, um ein Gelübde Philipps des Schönen zu erfüllen. Und ihr Herz schlug, sie sah, wie das junge Haupt Féliciens VII. sich erhob, ihrer aller Nachkomme, der blonde Herr, den sie anbetete, von dem sie angebetet wurde. Sie war überwältigt von Stolz und Furcht. War es möglich, daß sie um der Erfüllung des Wunders willen hier war? Vor ihr war eine neuere, aus dem letzten Jahrhundert stammende Marmorplatte, deren schwarze Lettern sie mühelos lesen konnte: Norbert Louis Ogier, Marquis d˜Hautecœur, Fürst von Mirande und Rouvres, Graf de Ferrières, de Montégu, de SaintMarc und auch de Villemareuil, Baron de Combeville, Lehnsherr von Morainvilliers, Ritter der vier Orden des Königs, Unterfeldherr, Statthalter der Normandie, bekleidet mit dem Amt des Generalzeugmeisters für das Waidwerk und das Gerät für die Schwarzwildjagd. Das waren die Titel von Féliciens Großvater, und sie war so einfach in ihrem Arbeitskleid, mit ihren von der Nadel zerstochenen Fingern gekommen, um den Enkel dieses Toten zu heiraten.
    Ein leichtes Geräusch war zu vernehmen, kaum ein Hinstreifen über die Fliesen. Sie wandte sich um und erblickte den Bischof und war ergriffen von diesem schweigenden Nahen ohne den Donnerschlag, den sie erwartet hatte. Er war in die Kapelle getreten, sehr groß, sehr edel war er mit seinem bleichen Antlitz mit der etwas kräftigen Nase und den jung gebliebenen, stolzen Augen. Zunächst bemerkte er sie nicht an diesem schwarzen Gitter. Als er sich dann zum Altar hin verneigte, sah er sie vor sich, zu seinen Füßen.
    Die Beine versagten ihr, halb ohnmächtig vor Ehrfurcht und Schrecken war Angélique in die Knie gesunken. Er erschien ihr wie Gottvater, furchtbar, unumschränkter Herr über ihr Geschick. Doch sie hatte ein mutiges Herz, sie redete drauflos:
    »O Monsignore, ich bin gekommen ...«
    Er hatte sich wieder aufgerichtet. Er erinnerte sich ihrer: das junge Mädchen, das er am Tage der Prozession am Fenster bemerkt und später in der Kirche auf einem Stuhl stehend wiedergesehen hatte, diese kleine Stickerin, in die sein Sohn vernarrt war. Er fand nicht ein Wort, nicht eine Geste. Er wartete, hochmütig, streng.
    »O Monsignore, ich bin gekommen, damit Sie mich sehen ... Sie haben mich zurückgewiesen, aber Sie kannten mich ja nicht. Und da bin ich nun, schauen Sie mich an, bevor Sie mich noch einmal zurückstoßen ... Ich bin jene, die liebt und die geliebt wird, und sonst bin ich nichts, nichts ohne diese Liebe, nichts als ein armes Kind, das an der Tür dieser Kirche aufgelesen wurde ... Sie sehen mich zu Ihren Füßen, wie klein, schwach und demütig ich bin. Es wird Ihnen ein leichtes sein, mich aus dem Wege zu räumen, wenn ich Ihnen lästig bin. Sie brauchen nur einen Finger zu heben, um mich zu vernichten ... Doch wieviel Tränen! Man muß wissen, was der andere leidet. Dann ist man voller Erbarmen ... Auch ich wollte meine Sache verfechten, Monsignore. Ich bin unwissend, ich weiß einzig, daß ich liebe und daß ich geliebt werde ... Genügt das nicht? Lieben, lieben und es sagen!« Und sie redete weiter in geseufzten und abgerissenen Sätzen, sie beichtete alles in einer Aufwallung von kindlicher Unbefangenheit und wachsender Leidenschaft. Es war die bekennende Liebe. Sie erkühnte sich so, weil sie keusch war. Nach und nach hatte sie den Kopf wieder erhoben. »Wir lieben uns, Monsignore. Er hat Ihnen zweifellos erklärt, wie das geschehen konnte. Ich, ich habe mich das oft gefragt, ohne daß ich eine Antwort zu finden vermochte ... Wir lieben uns, und wenn das ein Verbrechen ist, vergeben Sie es, denn es kam von weit her, von den Bäumen und selbst von den Steinen rings um uns. Als ich merkte, daß ich ihn liebte, war es zu spät, um ihn nicht mehr zu lieben ... Ist es jetzt noch möglich, das zu wollen? Sie können ihn bei sich behalten, ihn mit einer anderen verheiraten, aber Sie werden es nicht erreichen, daß er mich nicht liebt. Er wird ohne mich sterben, so wie ich ohne ihn sterben

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