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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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werde. Wenn er nicht da ist, an meiner Seite, so fühle ich wohl, daß er dennoch da ist, daß nichts mehr uns trennen kann und einer des andern Herz mit sich trägt. Ich brauche nur die Augen zu schließen, und ich sehe ihn wieder, er ist in mir ... Und Sie wollten uns aus diesem Einssein herausreißen? Monsignore, dieses Einssein ist göttlich, hindern Sie uns nicht, uns zu lieben.«
    Er sah sie an, die so frisch, so einfach, so duftend wie ein Blütenstrauß in ihrem Arbeitskleidchen vor ihm lag. Er hörte zu, wie sie mit eindringlicher Zauberstimme, die, nach und nach sicherer geworden, das Hohelied ihrer Liebe sang.
    Doch der Gartenhut glitt auf ihre Schultern, ihr lichtes Haar umgab ihr Antlitz mit einem Heiligenschein aus feinem Gold; und sie erschien ihm wie eine jener legendären Jungfrauen aus den alten Meßbüchern, so etwas Zerbrechliches, Ursprüngliches, in der Leidenschaft Emporstrebendes, leidenschaftlich Reines hatte sie an sich.
    »Seien Sie gütig, Monsignore ... Sie sind der Herr, machen Sie, daß wir glücklich werden.« Sie flehte ihn an, sie senkte von neuem die Stirn, als sie ihn so kalt sah, der noch immer ohne ein Wort, ohne eine Geste dastand.
    Ach! Dieses fassungslose Kind zu seinen Füßen, dieser Duft nach Jugend, der von ihrem vor ihm gebeugten Nacken ausströmte! Da sah er die blonden Härchen wieder, die er einst so toll geküßt! Die, deren Erinnerung ihn nach zwanzig Jahren der Buße quälte, hatte diese duftende Jugend, diesen Hals von lilienhafter Hoheit und Anmut gehabt. Sie wurde wiedergeboren, sie selber schluchzte da, flehte ihn an, der Leidenschaft gegenüber milde zu sein.
    Die Tränen waren gekommen. Angélique redete jedoch weiter, wollte alles sagen.
    »Und, Monsignore, nicht nur ihn liebe ich, ich liebe darüber hinaus den Adel seines Namens, den Glanz seines königlichen Reichtums ... Ja, ich weiß, es sieht so aus, als wolle ich, die ich nichts bin, nichts habe, ihn um seines Geldes willen bekommen; und es ist wahr, auch um seines Geldes willen will ich ihn bekommen ... Ich sage Ihnen das, da Sie mich kennenlernen müssen ... Ach! Reich werden durch ihn, mit ihm, in der Annehmlichkeit und der Pracht des Luxus leben, ihm alle Freuden verdanken, in unserer Liebe frei sein, keine Tränen, kein Elend mehr um uns her zulassen! – Seit er mich liebt, sehe ich mich in Brokat gekleidet, wie man ihn in alter Zeit trug; am Hals, an den Handgelenken trage ich Geriesel von Juwelen und Perlen; ich habe Pferde, Wagen, große Waldungen, in denen ich mit einem Gefolge von Pagen lustwandle ... Ich kann nicht an ihn denken, ohne diesen Traum von neuem zu beginnen; und ich sage mir, daß dies sein muß, er hat meinen Wunsch, Königin zu sein, erfüllt. Monsignore, ist es denn verworfen, daß ich ihn um so mehr liebe, weil er all meine Kinderwünsche erfüllt und den wunderbaren Goldregen der Märchen über mich ausschütten wird?«
    Er fand sie voller Stolz, wie er sie, wieder aufgerichtet, in all ihrer Einfachheit vor sich sah in der bezaubernden, vornehmen Haltung einer Prinzessin. Und es war wirklich die andere, die gleiche Blütenzartheit, die gleichen sanften Tränen, hell wie ein Lächeln. Etwas Berauschendes ging von ihr aus, dessen warmen Schauer er zu seinem Gesicht emporsteigen fühlte, diesen gleichen Schauer der Erinnerung, der ihn des Nachts schluchzend in seinen Betstuhl stürzen und ihn mit seinen Klagen die fromme Stille des Bischofspalastes stören ließ. Bis drei Uhr morgens hatte er in dieser Nacht noch gerungen; und dieses Liebesabenteuer, diese solchermaßen wieder aufgewühlte Leidenschaft, reizte seine unheilbare Wunde. Doch hinter seinem unbewegten Gesicht zeigte sich nichts, verriet nichts die Anstrengung des Kampfes, um das Schlagen des Herzens zu bezähmen. Wenn er Tropfen um Tropfen sein Blut verlor, niemand sah es fließen: er war dadurch nur noch bleicher und stummer geworden.
    Dieses hartnäckige tiefe Schweigen stürzte Angélique jetzt in Verzweiflung, und sie verdoppelte ihr Flehen:
    »Ich befehle mich in Ihre Hände, Monsignore. Erbarmen Sie sich, entscheiden Sie über mein Schicksal.«
    Und er sprach noch immer nicht, er versetzte sie in Angst und Schrecken, als wäre er in furchtbarer Majestät vor ihr gewachsen. Die menschenleere Kathedrale mit ihren schon dunklen Seitenschiffen, ihren hohen Gewölben, in denen das Tageslicht erstarb, vertiefte noch die Bangigkeit des Wartens. In der Kapelle konnte man nicht einmal mehr die Grabsteine unterscheiden,

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