Der Traum
... Nur, er macht sich Illusionen, er wird sich schließlich dem Willen seines Vaters beugen, und unser armes, liebes, kleines Mädchen wird daran sterben.«
Geschlagen und angsterfüllt zögerte Hubert, schickte sich darein, Angélique nichts auszurichten. Im übrigen beruhigte er sich von Tag zu Tag ein wenig mehr, wenn seine Frau ihn auf Angéliques ruhige Haltung aufmerksam machte.
»Du siehst wohl, daß die Wunde sich schließt ... Sie vergißt.«
Sie vergaß nicht, sie wartete, auch sie. Alle menschliche Hoffnung war gestorben, sie kehrte wieder zu dem Gedanken an ein Wunder zurück. Es würde gewiß ein Wunder geschehen, wenn Gott wollte, daß sie glücklich werde. Sie brauchte sich nur in seine Hände zu geben, sie glaubte, sie würde durch diese neue Prüfung dafür bestraft, daß sie es versucht hatte, seinen Willen zu erzwingen, indem sie den Bischof belästigte. Ohne die Gnade war die Kreatur schwach, unfähig zum Siege. Ihr Bedürfnis nach Gnade ließ sie wieder demütig werden, ihre Hoffnung einzig in den Beistand des Unsichtbaren setzen, sie handelte nicht mehr, sondern ließ die sie umgebenden geheimnisvollen Mächte handeln. Sie begann wieder, allabendlich unter der Lampe ihr altes Exemplar der »Legenda aurea« zu lesen: und danach war sie ebenso entzückt wie in der Einfalt ihrer Kindheit; und sie zog kein Wunder in Zweifel, war überzeugt, daß die Macht des Unbekannten grenzenlos ist, wenn sie den reinen Seelen zum Triumph verhelfen will.
Gerade war der Dekorateur der Kathedrale gekommen, um bei den Huberts eine sehr reich gestickte Stoffbahn für den Bischofsthron zu bestellen. Diese anderthalb Meter breite, drei Meter hohe Stoffbahn sollte in die Täfelung der Rückwand eingefügt werden und zwei Engel von natürlicher Größe darstellen, die eine Krone über das Wappen der Hautecœurs hielten. Es war dazu eine Stickerei in Halbrelief erforderlich, eine Arbeit, die sehr viel Kunstfertigkeit und einen großen Aufwand an körperlicher Kraft verlangt. Die Huberts hatten zunächst abgelehnt, weil sie fürchteten, es würde Angélique überanstrengen, vor allem aber sie betrüben, wenn sie dieses Wappen sticken sollte, wobei sie wochenlang Faden um Faden ihre Erinnerungen von neuem durchleben müßte. Doch sie hatte ärgerlich darauf bestanden, den Auftrag anzunehmen, sie machte sich mit außergewöhnlicher Willenskraft jeden Morgen von neuem an die Arbeit. Sie schien glücklich zu sein, sich müde zu arbeiten, als hätte sie das Bedürfnis, ihren Körper abzutöten, um zur Ruhe zu kommen.
Und das Leben ging weiter in der alten Werkstatt, wie immer gleich und regelmäßig, als hätten die Herzen hier nicht einen Augenblick lang schneller geschlagen. Während Hubert sich emsig an den Stickrahmen zu schaffen machte, zeichnete, spannte und abspannte, half Hubertine Angélique, und beide hatten zerstochene Finger, wenn der Abend kam. Die Engel und die Verzierungen hatte man jeweils in mehrere Teile zerlegen müssen, die einzeln gearbeitet wurden. Um die großen Reliefs darzustellen, führte Angélique mit einer Bretsche dicke ungebleichte Fäden über den Stoff, die sie in entgegengesetzter Richtung mit englischem Garn wieder bedeckte; und indem sie ebensowohl den Mennelurd als auch ein Bossierholz benutzte, modellierte sie diese Fäden, arbeitete die Gewandungen der Engel sorgfältig aus, hob die Einzelheiten der Verzierungen hervor. Es war eine wahre Bildhauerarbeit. Dann, wenn die Form erreicht war, warfen Hubertine und sie Goldfäden darüber, die sie mit Überfangstichen festnähten. Es war ein richtiges goldenes Halbrelief von unvergleichlicher Lieblichkeit und Pracht, das inmitten des verräucherten Raums wie eine Sonne strahlte. Die alten Werkzeuge reihten sich in ihrer jahrhundertealten Ordnung aneinander, die Lochzangen, die Punzen, die Klöpfel, die Hämmer; auf den Stickrahmen hüpften die Abfallschachtel und der Materialbehälter, die Fingerhüte und die Nadeln; und die Goldhaspel, das Handrad, die Garnwinde schienen tief in den Winkeln, wo sie vollends verrosteten, mit ihren beweglichen Armen zu schlafen, eingeschlummert in dem tiefen Frieden, der durch die offenen Fenster hereindrang.
Tage flossen dahin, Angélique zerbrach von morgens bis abends viele Nadeln, so schwer war es, das Gold durch die Dichte der gewachsten Fäden hindurch festzunähen. Man hätte meinen können, sie sei durch all diese harte Arbeit körperlich und geistig so sehr in Anspruch genommen, daß sie nicht mehr
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