Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
mir befiehlt, Claire de Voincourt zu heiraten, muß ich ihm also gehorchen?«
    Bei diesem letzten Schlag wankte Angélique. Sie konnte die Klageworte nicht zurückhalten:
    »Das ist zuviel ... Ich flehe Sie an, gehen Sie fort, seien Sie nicht grausam ... Warum sind Sie gekommen? Ich hatte mich darein geschickt, ich hatte mich mit dem Unglück abgefunden, nicht von Ihnen geliebt zu werden. Und nun lieben Sie mich doch, und meine ganze Qual beginnt von neuem! – Wie soll ich jetzt leben?«
    Félicien glaubte, sie werde schwach, und sagte immer wieder:
    »Wenn mein Vater will, daß ich die andere heirate ...«
    Sie kämpfte gegen ihr Leid an; und es gelang ihr noch, sich aufrecht zu halten, während ihr das Herz zerriß; dann schleppte sie sich zum Tisch, wie um ihm den Weg freizugeben, und sagte:
    »Dann heiraten Sie die andere, man muß gehorchen.«
    Nun stand er vor dem Fenster, bereit, zu gehen, da sie ihn fortschickte.
    »Aber Sie werden daran sterben!« rief er.
    Sie hatte sich beruhigt, sie murmelte mit einem Lächeln:
    »Oh! Das ist schon halb geschehen.«
    Einen Augenblick noch schaute er sie an, wie sie so weiß, so abgezehrt dastand, so leicht wie eine Feder, die ein Hauch davonweht; und mit einer Gebärde wilder Entschlossenheit verschwand er in der Nacht.
    An die Rückenlehne des Sessels gelehnt, streckte sie, als er nicht mehr da war, verzweifelt die Hände nach der Finsternis aus. Heftiges Schluchzen schüttelte ihren Körper, Todesschweiß bedeckte ihr Antlitz. Mein Gott! Das war das Ende, sie würde ihn nicht mehr sehen. Ihr ganzes Leid hatte sie wieder gepackt, ihre Beine waren wie zerschlagen und versagten ihr den Dienst. Nur mit großer Mühe konnte sie wieder ihr Bett erreichen, auf das sie siegreich und atemlos niedersank. Am nächsten Morgen fand man sie dort im Sterben liegend. Die Lampe war bei Tagesanbruch im sieghaften Weiß des Zimmers von selbst verloschen.
     

Kapitel XIII
    Angélique lag im Sterben. Es war zehn Uhr, ein klarer Vormittag gegen Ende des Winters, frisches Wetter mit weißem, von der Sonne ganz aufgeheitertem Himmel. Sie lag in dem großen, mit alter rasa Leinwand ausgeschlagenen königlichen Bett und rührte sich nicht mehr, war seit dem Abend vorher ohne Bewußtsein. Auf dem Rücken ausgestreckt lag sie da, mit ihren kraftlos auf dem Bettuch ruhenden Elfenbeinhänden, und hatte die Augen nicht mehr geöffnet; und ihr feines Profil war schmaler geworden unter dem goldenen Strahlenkranz ihrer Haare; und man hätte glauben können, sie sei schon gestorben, wäre nicht ein ganz schwacher Hauch über ihre Lippen gekommen.
    Am Tage zuvor hatte Angélique gebeichtet und kommuniziert, da sie sich sehr schlecht fühlte. Der gute Abbé Cornille hatte ihr gegen drei Uhr die heilige Wegzehrung gereicht. Am Abend dann, als der Tod sie allmählich erstarren ließ, hatte sie ein großes Verlangen nach der Letzten Ölung verspürt, der himmlischen Arznei, die zur Heilung der Seele und des Leibes eingesetzt ist. Bevor sie das Bewußtsein verlor, hatte ihr letztes Wort, kaum ein Murmeln, das Hubertine aufgefangen, dieses Verlangen nach der heiligen Ölung gestammelt, oh, gleich, solange es noch Zeit wäre! Doch die Nacht war schon vorgeschritten, man hatte den Tag abgewartet, und der Abbé, der benachrichtigt worden war, mußte jetzt endlich kommen.
    Alles war bereit, die Huberts legten die letzte Hand daran, das Zimmer herzurichten. In der fröhlichen Sonne, die zu dieser morgendlichen Stunde auf die Fensterscheiben traf, war es von einem dämmrigen Weiß mit der Nacktheit seiner großen Wände. Sie hatten den Tisch mit einem weißen Tuch bedeckt. Rechts und links von einem Kruzifix brannten zwei Kerzen in den silbernen Leuchtern, die sie aus der guten Stube heraufgebracht hatten. Und es war außerdem Weihwasser da und ein Weihwedel, eine Wasserkanne mit einer Schüssel dazu und ein Handtuch, zwei weiße Porzellanteller, der eine mit Wattebäuschchen, der andere mit Tüten aus weißem Papier. Man hatte die Treibhäuser der Unterstadt abgelaufen, ohne andere Blumen zu finden als Rosen, mächtige weiße Rosen, deren ungeheure Büschel den Tisch gleichsam mit einem Schauer weißer Spitzen schmückten. Und in diesem gesteigerten Weiß atmete die sterbende Angélique noch immer mit ihrem schwachen Atem bei geschlossenen Lidern.
    Bei seinem Besuch am Morgen hatte der Arzt gesagt, daß sie den Tag nicht überleben werde. Vielleicht würde sie von einem Augenblick zum anderen hinübergehen, ohne

Weitere Kostenlose Bücher