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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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handeln. Die Tränen machten ihn blind, während der Bischof in der Sakristei das heilige Öl aus Abbé Cornilles Händen in Empfang nahm. Fassungslos folgte ihm Félicien, er wagte jedoch nicht, das Zimmer zu betreten, und war auf dem Treppenabsatz vor der weit geöffneten Tür auf beide Knie gesunken.
    »Pax huic domui.«
    »Et omnibus habitantibus in ea.«
    Der Bischof hatte soeben das heilige Öl zwischen die beiden Kerzen auf den weißen Tisch gestellt, nachdem er mit dem silbernen Gefäß in der Luft das Zeichen des Kreuzes beschrieben hatte. Er ließ sich darauf von dem Abbé das Kruzifix reichen und trat an die Kranke heran, damit sie es küsse. Doch Angélique lag noch immer ohne Bewußtsein, mit geschlossenen Lidern, erstarrten Händen, gleich den schmalen, strengen Steinfiguren auf den Grabmälern. Einen Augenblick schaute er sie an, merkte an ihrem schwachen Atem, daß sie noch nicht tot war, und legte ihr das Kruzifix auf die Lippen. Er wartete, sein Gesicht wahrte die Erhabenheit des Buße heischenden Priesters, keine menschliche Regung zeigte sich darauf, als er festgestellt hatte, daß nicht ein Schauer über das feine Profil oder über das lichtvolle Haar gelaufen war. Doch sie lebte, das genügte zur Erlösung von den Sünden.
    Jetzt nahm der Bischof vom Abbé den Weihwasserkessel und den Weihwedel entgegen; und während dieser ihm das aufgeschlagene Rituale hinhielt, besprengte er die Sterbende mit Weihwasser und las dabei die lateinischen Worte:
    »Asperges me, Domine, hyssopo, et mundabor; lavabis me, et super nivem delababor.«110
    Tropfen sprühten, das ganze große Bett wurde davon erfrischt wie von Tau. Es regneten welche auf die Finger, auf die Wangen; doch einer nach dem anderen rollten die Tropfen wie über fühllosen Marmor. Und der Bischof wandte sich darauf an die Anwesenden, er besprengte jetzt sie. Seite an Seite kniend, beugten sich Hubert und Hubertine in ihrem Verlangen nach inbrünstigem Glauben unter dem Regenschauer dieses Segens. Und der Bischof segnete auch das Zimmer, die Möbel, die weißen Wände, all dieses nackte Weiß, und als er an der Tür vorüberkam, sah er sich vor seinem Sohn, der auf die Schwelle niedergesunken war und in seine brennendheißen Hände schluchzte. Mit langsamer Gebärde hob er dreimal den Weihwedel und reinigte ihn mit einem sanften Regen. Dieses solchermaßen überall versprengte Weihwasser sollte zunächst die bösen Geister vertreiben, die zu Milliarden unsichtbar umherflogen. In diesem Augenblick glitt ein blasser Wintersonnenstrahl bis zum Bett; und ein ganzer Schwarm von Sonnenstäubchen, flinken Staubteilchen schien darin zu leben, unzählbar waren sie aus einem Winkel des Fensters herabgeschwebt, wie um mit ihrer warmen Schar die kalten Hände der Sterbenden zu baden. Als der Bischof zum Tisch zurückgekommen war, sprach er das Gebet:
    »Exaudi nos ...«111
    Er beeilte sich nicht. Obschon der Tod da war, zwischen den Vorhängen aus alter Leinwand, fühlte er doch, daß der Tod es nicht eilig hatte und geduldig warten würde. Und obgleich ihn das Kind in diesem gänzlichen Verfall seines Seins nicht hören konnte, sprach er zu ihm, fragte er:
    »Habt Ihr nichts auf dem Gewissen, was Euch Qual bereitet? Beichtet Eure Ängste, erleichtert Euch, meine Tochter.«
    Ausgestreckt lag sie da und wahrte Schweigen.
    Als er ihr vergebens Zeit zu antworten gegeben, begann er die Ermahnung mit derselben vollen Stimme, scheinbar ohne zu wissen, daß nicht eines seiner Worte zu ihr drang.
    »Sammelt Euch, bittet in Eurem Innersten Gott um Vergebung. Das Sakrament wird Euch reinigen und Euch neue Kräfte verleihen. Eure Augen werden klar, Eure Ohren keusch, Eure Nase frisch, Euer Mund heilig, Eure Hände unschuldig werden ...« Er sagte bis zum Schluß, was zu sagen war, und hielt dabei die Augen auf sie gerichtet; und sie atmete kaum, nicht eine Wimper ihrer geschlossenen Lider bewegte sich. Dann befahl er: »Sprecht das Glaubensbekenntnis.« Nachdem er gewartet hatte, sprach er es selber. »Credo in unum Deum ...«112
    »Amen«, antwortete Abbé Cornille.
    Man hörte auf dem Treppenflur noch immer Félicien, von Hoffen zermürbt, heftig schluchzend weinen. Hubert und Hubertine beteten mit derselben emporgewandten, furchtsamen Gebärde, als fühlten sie die unbekannten Allgewalten herniedersteigen.
    Eine Unterbrechung war entstanden, ein Gebetsgestammel. Und nun folgten nacheinander die Litaneien des Rituale, die Anrufung aller Heiligen, das Aufsteigen des

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