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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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war es, die in ihm auferstand, um die Rechte der Liebe zu fordern. Sein Vater hatte sie also nicht geliebt, er hatte sich also über ihren Tod gefreut, daß er sich denen gegenüber so hart zeigte, die sich liebten und die leben wollten? Doch mochte er auch in den Entsagungen der Gottesverehrung erstarrt sein, sie würde wiederkommen, ihn heimzusuchen und ihn zu quälen, da er das Kind quälte, das sie ihm geboren hatte. Sie lebe noch immer, sie wolle in den Kindern ihres Kindes weiterleben in alle Ewigkeit; und er töte sie abermals, indem er diesem Kind die erwählte Braut verweigere, diejenige, die das Geschlecht fortführen sollte. Man vermählt sich nicht mit der Kirche, wenn man sich dem Weibe vermählt hatte. Und angesichts seines reglos dastehenden Vaters, der in schrecklichem Schweigen gewachsen war, stieß er die Worte Meineidiger und Mörder hervor. Von Entsetzen gepackt, floh er dann taumelnd.
    Als der Bischof wieder allein war, drehte er sich um sich selbst, als habe ihn ein Messerstich mitten in die Brust getroffen, und stürzte mit beiden Knien auf den Betstuhl nieder. Ein gräßliches Röcheln entrang sich seiner Kehle. Ach, das Elend des Herzens, die unbesiegbaren Schwächen des Fleisches! Diese Frau, diese immer wieder auferstandene Tote, er betete sie an wie am ersten Abend, als er ihre weißen Füße geküßt; und dieser Sohn, ihn betete er an als einen Teil von ihr, etwas von ihrem Leben, was sie ihm gelassen hatte; und dieses junge Mädchen, diese kleine Arbeiterin, die er zurückstieß, auch sie betete er an mit der anbetenden Liebe, die sein Sohn für sie empfand. Jetzt würden alle drei Verzweiflung in seine Nächte bringen. Ohne daß er es sich eingestand, hatte sie, die so einfache, kleine Stickerin mit ihrem goldenen Haar, ihrem frischen Nacken, der so gut nach Jugend duftete, ihn damals in der Kathedrale gerührt. Er sah sie wieder vor sich, sie ging an ihm vorüber, zart, rein, in unwiderstehlicher Ergebenheit. Ein Selbstvorwurf hätte ihn nicht sicherer treffen, noch vollständiger von ihm Besitz ergreifen können. Mochte er sie auch mit lauter Stimme zurückweisen, er wußte sehr wohl, daß sie von nun an sein Herz mit ihren von der Nadel zerstochenen, demütigen Händen festhielt. Während Félicien ihn ungestüm anflehte, hatte er hinter dem blonden Haupt seines Sohnes sie gesehen, die beiden angebeteten Frauen, jene, die er beweinte, und jene, die um seines Kindes willen dahinstarb. Und aufgewühlt, nicht wissend, wo er die Ruhe wiederfinden sollte, bat er schluchzend den Himmel um den Mut, sich das Herz aus der Brust zu reißen, da ja dieses Herz nicht mehr Gott gehörte.
    Der Bischof betete bis zum Abend. Als er wieder zum Vorschein kam, war er weiß wie Wachs, im Innern zerrissen und dennoch entschlossen. Er vermochte nichts, er wiederholte das furchtbare Wort: »Niemals!« Gott allein hatte das Recht, ihn von seinem Worte zu entbinden; und Gott, den er angefleht hatte, schwieg. Es galt also zu leiden.
    Zwei Tage vergingen. Félicien strich, wahnsinnig vor Schmerz und begierig auf Nachricht über die Kranke, um das kleine Haus herum. Sooft jemand herauskam, wurde er fast ohnmächtig vor Furcht. Und so erfuhr er an dem Morgen, da Hubertine zur Kirche lief, um die heilige Ölung zu erbitten, daß Angélique den Tag nicht überleben werde. Abbé Cornille war nicht da, er rannte durch die ganze Stadt, um ihn zu finden, weil er in ihn eine letzte Hoffnung auf göttliche Hilfe setzte. Als er den guten Priester dann zurückbrachte, schwand seine Hoffnung dahin, befiel ihn eine Anwandlung von Zweifel und Wut. Was tun? Auf welche Weise den Himmel zum Eingreifen zwingen? Er lief davon, erzwang sich von neuem Einlaß in den Bischofspalast; und der Bischof erschrak für einen Augenblick bei seinen zusammenhanglosen Worten. Dann begriff er: Angélique lag im Sterben, sie erwartete die Letzte Ölung, Gott allein konnte sie retten. Der junge Mann war nur gekommen, um seinen Schmerz hinauszuschreien, mit diesem abscheulichen Vater zu brechen, ihm seinen Mord ins Gesicht zu schleudern.
    Doch der Bischof hörte ihn ohne Zorn an, die Augen jäh von einem Strahl erhellt, als hätte endlich eine Stimme gesprochen. Und er bedeutete ihm voranzugehen, er folgte ihm und sagte:
    »So Gott will, so will auch ich.«
    Félicien durchfuhr ein heftiger Schauer. Sein Vater willigte ein, hatte sich seines eigenen Wollens enthoben und dem guten Willen des Wunders unterworfen. Sie zählten nicht mehr, Gott würde

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