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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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große Lilie, deren Wohlgeruch die Schwachen stärkte, die Starken ermunterte. Und sie war ja gerade auf so unschuldige Weise empfindsam, daß sie niemals die glühenden Nelken, den moschusduftenden Flieder, die fiebrigen Hyazinthen hatte vertragen können und sich nur inmitten des ruhigen Blühens der Veilchen und der Himmelschlüssel der Wälder wohl fühlte.
    Der Abbé trocknete die Nasenflügel, schob das Wattebäuschchen in eine andere weiße Papiertüte.
    Darauf siegelte der Bischof, zum geschlossenen Mund herabgehend, den der schwache Atem kaum öffnete, die Unterlippe mit dem Zeichen des Kreuzes.
    »Per istam sanctam unctionem, et suam piissimam misericordiam, indulgeat tibi Dominus quidquid per gustum deliquisti.«117
    Und der ganze Mund war nur noch ein Kelch der Unschuld, denn dieses Mal wurde die niedere Befriedigung des Geschmackes, der Naschhaftigkeit, des sinnlichen Genusses von Wein und Honig vergeben, vergeben wurden vornehmlich die Verbrechen der Zunge, der allgemein Schuldigen, der Herausfordrerin, der Giftmischerin, derjenigen, die Streitigkeiten, Kriege, Irrtümer bewirkt, falsche Reden hervorbringt, von denen der Himmel selber verdunkelt wird. Und die Naschhaftigkeit war niemals ihr Laster gewesen, sie war wie Elisabeth dahin gekommen, sich zu ernähren, ohne die Speisen zu beachten. Und wenn sie im Irrtum lebte, so war es ihr Traum, der sie darein versetzt hatte, die Hoffnung auf das Jenseits, die Tröstung durch das Unsichtbare, jene ganze verzauberte Welt, die ihre Unwissenheit erschuf und die eine Heilige aus ihr machte.
    Nachdem der Abbé den Mund getrocknet hatte, steckte er das Wattebäuschchen in die vierte weiße Papiertüte.
    Schließlich löschte der Bischof, indem er erst rechts, dann links die Handflächen der beiden kleinen elfenbeinernen Hände salbte, die umgekehrt auf dem Bettuch lagen, mit dem Zeichen des Kreuzes ihre Sünden aus.
    »Per istam sanctam unctionem, et suam piissimam misericordiam, indulgeat tibi Dominus quidquid per tactum deliquisti.«118
    Und der ganze Leib war weiß, rein gewaschen von seinen letzten Makeln, die durch die Berührung entstehen und die am meisten beschmutzen, Raub, Schlägerei, Mord, und von den Sünden der anderen, bisher nicht erwähnten Körperteile, von denen der Brust, der Lenden und der Füße, die diese Salbung ebenfalls tilgte, alles, was im Fleische brennt und heult, unser Zorn, unsere Begierden, unsere zügellosen Leidenschaften, die fleischlichen Lüste, denen wir nachjagen, die verbotenen Freuden, nach denen unsere Glieder schreien. Und seit sie dort lag, sterbend an ihrem Siege, hatte sie ihre Heftigkeit, ihre Hoffart und ihre Leidenschaft abgeworfen, als habe sie das Erbübel mitgebracht nur um des Ruhmes willen, darüber zu triumphieren. Und sie wußte nicht einmal, daß sie Begierden gehabt, daß ihr Fleisch vor Liebe geseufzt hatte, daß das tiefe Erschauern ihrer Nächte sündhaft sein konnte, so sehr war sie mit Unwissenheit gepanzert, so weiß war ihre Seele, ganz weiß.
    Der Abbé trocknete die Hände, ließ das Wattebäuschchen in der letzten weißen Papiertüte verschwinden und verbrannte die fünf Tüten im Ofen.
    Die feierliche Handlung war beendet, der Bischof wusch sich die Finger, bevor er das Schlußgebet sprach. Er hatte die Sterbende nur noch einmal zu ermahnen, wobei er ihr die symbolische Kerze in die Hand gab, die Dämonen zu vertreiben und erkennen zu lassen, daß sie die Unschuld des Täuflings wiedererlangt hatte. Doch sie lag immer noch starr da, mit geschlossenen Augen, wie tot. Das heilige Öl hatte ihren Leib gereinigt, die Kreuzeszeichen ließen ihre Spuren auf den fünf Fenstern der Seele zurück, ohne das Aufsteigen einer Lebenswoge in die Wangen zu bewirken. Das Wunder, das man erfleht und erhofft, war nicht geschehen. Hubert und Hubertine, die immer noch Seite an Seite knieten, beteten nicht mehr, blickten mit ihren starren Augen so inbrünstig, daß man hätte meinen können, sie seien beide für alle Zeiten unbeweglich geworden, wie jene Stifterfiguren, die in dem Winkel eines alten Kirchenfensters der Auferstehung harren. Félicien hatte sich auf den Knien jetzt bis zur Tür geschleppt und zu schluchzen aufgehört, auch er hatte den Kopf erhoben, um, rasend vor Wut über die Taubheit Gottes, besser hinzusehen.
    Ein letztes Mal trat der Bischof an das Bett und hinter ihm Abbé Cornille, der die schon angezündete Kerze hielt, die der Kranken in die Hand gegeben werden sollte. Und der Bischof, der

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