Der Traumhändler
hatte, dass kleine Gesten mehr bewirken können als große Reden. In seinem Unterricht unter freiem Himmel waren seine Reaktionen und sein Schweigen wirksamer als alle multimedialen Techniken. Intuitiv wussten ich und die anderen, die ihm bald folgten, dass er große Geheimnisse in sich trug. Wir wagten es nicht, ihn danach zu fragen, weil er uns mit seiner sokratischen Gesprächsmethode, die darin bestand, unsere Gewissheiten immer weiter zu hinterfragen, immer wieder bloßstellte. Er entpuppte sich aber auch als Spezialist dafür, das Leben zu einem Fest zu machen, sogar dann, wenn es genügend Gründe dafür gab, sich vor Ärger selbst zu zerfleischen.
Ständig wiederholte er uns: »Glücklich sind die, die über ihre Dummheiten lachen, denn ihnen gehört das unbeschwerte Leben.«
Ich hasste dumme Leute, die oberflächliche Antworten gaben, aber im Grunde war ich selbst voller Torheit. Ich musste noch viel lernen, um über mich selbst lachen zu können. Ich musste die Kunst erlernen, den Kopf freizubekommen und mein Leben zu vereinfachen – eine Kunst, die im Tempel der Universität unbekannt war.
Die Universität, zu deren Ruhm ich beigetragen hatte, brachte Absolventen hervor, die nicht in der Lage waren, in den Spiegel zu sehen und die eigene Dummheit zu erkennen: Diplomierte, die sich nicht entspannen, weinen und lieben konnten, die keine Risiken eingingen, nicht aus dem Gefängnis der Routine ausbrachen und die erst recht nicht träumten. Und ich war der meistgefürchte aller Professoren gewesen, ein überstrenger Beckmesser. Ich hatte meine Studenten mit Kritik überschüttet, ohne sie jemals zu lehren, das Leben zu genießen. Klar! Niemand kann geben, was er nicht hat. Mein bisheriges Leben war einfach kümmerlich.
Bisher war ich immer sehr stolz auf meine ethischen Grundsätze und meine Ehrlichkeit gewesen, aber ich begann zu entdecken, dass ich mir selbst gegenüber unethisch und unehrlich war. Glücklicherweise lernte ich nun langsam, die »Dämonen« zu verscheuchen, die meinen Geist in Ketten gelegt und einen ziemlich unerträglichen Typen aus mir gemacht hatten.
Kein Weg ohne Hindernisse
N achdem er zwanzig Minuten am Fuße des Hochhauses getanzt hatte, bat der Traumhändler die dort immer noch versammelte euphorische Menge um Ruhe. Nach und nach wurde es still, und zur allgemeinen Überraschung deklamierte er nun mit lauter Stimme, als stünde er hoch oben auf einem Berg, die Strophe eines Gedichts:
Viele tanzen am Boden,
statt auf dem Weg zur Selbsterkenntnis.
Sie sind Götter, die ihre Grenzen nicht kennen.
Wie sollen sie sich finden,
wenn sie sich nie verloren haben?
Wie sollen sie menschlich sein, wenn sie ihre eigene Menschlichkeit nie erfahren haben?
Wer seid ihr? Ja, sagt es mir: Wer seid ihr?
Die Leute rissen die Augen auf. Gerade hatten sie sich auf einer improvisierten Tanzfläche ausgelassen, und nun redete der Anstifter der Party von einem anderen Weg und fragte danach, ob sie göttlich oder menschlich seien. Mehrere gut gekleidete Männer, insbesondere jene, die nicht mitgetanzt, sondern eine Kritikerrolle eingenommen hatten, wurden unruhig. Während sie den lieben langen Tag auf die Kursschwankungen von Dollar und Wertpapieren starrten und ihre Gedanken um Unternehmensführungstechniken, luxuriöse Autos und Hotels kreisten, hatten die meisten von ihnen noch nie den Weg zur Selbsterkenntnis beschritten oder die Pfade der Psyche erwandert. Sie waren innerlich leer, gelangweilt, voll ungestillter Sehnsucht und voller Beruhigungsmittel. Anstatt zum eigenen Menschsein zu finden, waren sie sterbende Götter, die ihre eigentlichen Konflikte verleugneten.
Da die Menge nun aufmerksam lauschte, sprach der Traumhändler weiter: »Wer nicht über das Leben philosophiert, bleibt an der Oberfläche und bemerkt nicht, dass die Existenz wie die Sonne ist, die in einem wunderschönen Morgenrot den Himmel erleuchtet, doch im Abendrot unabwendbar untergeht.«
Einige Zuhörer applaudierten, ohne die ganze Tiefe der Gedanken zu erfassen und ohne zu bemerken, dass sie selbst dem Abendrot nahe waren.
Darauf begann der Traumhändler zu meiner Überraschung, einem nach dem anderen die Hand zu geben und zu fragen: »Wer sind Sie? Was ist Ihr großer Traum?«
Viele reagierten zunächst verlegen und wussten keine Antwort auf die Frage. Einige antworteten jedoch spontan und ehrlich: »Ich habe keine Träume. Mein Leben ist eine große Scheiße!«, und andere gingen sogar ins Detail: »Ich weiß vor
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