Der Traumhändler
Zeit verlieren wollte, ließ der Polizeichef den Spitzbuben schließlich laufen. Auf der Straße dann gratulierte der Anwalt Engelshand und lobte seine Gerissenheit.
»Herzlichen Glückwunsch! Ihre Durchtriebenheit ist unglaublich! Ein so gewitzter Gauner ist mir noch nicht untergekommen!« Und er verlangte nach seinem Honorar, da er noch weitere Termine hatte.
Engelshand schaute dem Anwalt tief in die Augen und legte wieder mit der größten Natürlichkeit der Welt seinen Finger auf die Lippen und schlug sich gegen die Stirn. Der Anwalt musste lachen, sagte dann aber, er habe keine Zeit mehr für Späße. Dimas wiederholte die Gesten. Wir standen derweil auf der anderen Straßenseite und sahen der Szene zu.
»Jetzt reicht es aber! Zahlen Sie mir mein Honorar!«, brüllte der Anwalt.
Engelshand wiederholte das Ritual zum soundsovielten Male, der Anwalt wurde immer wütender, und Dimas reagierte wiederum mit derselben Geste. Den Gauner konnte nichts erschüttern. Der Anwalt drohte ihm mit allem, was ihm einfiel, sogar damit, ihn erneut anzuzeigen. Aber wie? Er hatte dem Polizeichef ja selbst gesagt, dass sein Mandant geistesgestört war; wenn er nun davon Abstand nähme, konnte ihm das Scherereien mit der Justiz einbringen.
Es war das erste Mal in der Rechtsgeschichte, dass ein Filou innerhalb von einer Viertelstunde sowohl einen Kommissar als auch einen Rechtsanwalt aufs Kreuz legte. Nachdem sich der Anwalt erfolglos und wutentbrannt aus dem Staub gemacht hatte, sagte Engelshand zu sich selbst: »Noch so ein Idiot.«
Der Meister beobachtete den Betrüger genau. Ich wunderte mich über sein Interesse an dem Spitzbuben. Aber vielleicht wollte er ihm seinen Traum von Ehrlichkeit verkaufen. Vielleicht wollte er ihm aber auch eine Standpauke, eine Moralpredigt halten. Oder er wollte uns den Rat geben, uns nicht auf ein Subjekt einzulassen, das uns auf dem Weg zur inneren Wahrheit gefährden konnte.
Der Traumhändler ging über die Straße und auf den Gauner zu. Bartholomäus und ich folgten ihm ängstlich, da wir fürchteten, der Schurke könnte bewaffnet sein. Dieser merkte, dass wir ihn im Auge hatten, und sah auf. Was der Meister ihm zu sagen hatte, verblüffte uns dann zutiefst: »Du träumst davon, reich zu werden, aber es ist dir egal, mit welchen Mitteln du das erreichst.«
Diese Worte gefielen mir; ich fand sie sehr mutig. Doch der Satz, der auf sie folgte, verblüffte mich, und sogar der inzwischen nüchterne Bartholomäus konnte nicht glauben, was er vernahm. Der Meister sagte zu Engelshand: »Leute, die stehlen, können einfach nicht mit Geld umgehen. Sie fliehen vor dem Elend, aber das Elend holt sie immer wieder ein.«
Der Betrüger fühlte sich ertappt. Er wusste mit der Beute seiner Raubzüge wirklich nichts anzufangen und war immer pleite. Er hasste die Not und wünschte sich nichts sehnlicher, als sie hinter sich zu lassen. Doch sie blieb ihm treu und verließ ihn nicht. Nun legte der Meister nach, und die Welt seines Gegenübers stürzte in sich zusammen: »Der schlimmste Gauner ist nicht derjenige, der die anderen betrügt, sondern der, der sich selbst betrügt.«
Engelshand wich ein paar Schritte zurück. Er war keiner, der viel nachdachte, aber das, was er gerade gehört hatte, versetzte sein Hirn in äußerste Unruhe. Er fragte sich plötzlich: »Ob ich wirklich der schlimmste aller Gauner bin? Ich bin darauf spezialisiert, andere zu betrügen. Ob ich mich dabei vielleicht selbst betrogen habe? Wer ist dieser Typ, der mir meinen Frieden stiehlt?«
Und dann sagte der Meister etwas, was uns förmlich erschütterte: »Komm und folge mir. Ich werde dafür sorgen, dass du einen Schatz findest, der sich Wissen nennt, der wertvoller ist als Gold und Silber.«
Der Vorschlag war verführerisch. Der Ganove musterte den Traumhändler von oben bis unten, bemerkte dessen zerlumpte Kleidung, die leeren Taschen und schnaufte. Was sollte dieser Wissensschatz sein? Misstrauisch fragte er: »W… was s… s… soll das f… für ein Sch… schatz sein? W… wo ist die K… kohle?«
Ohne weitere Erklärungen antwortete der Meister: »Du wirst es erfahren.«
Und machte sich auf den Weg. Der Gauner folgte ihm, zunächst eher aus Neugier. Vielleicht stellte er sich vor, der Meister sei ein exzentrischer Millionär. Jedenfalls war er faszinierend. Er übte gerade auf Sonderlinge eine besondere Anziehung aus, auch wenn sie zunächst zwielichtige Absichten hegten.
Vor vielen Jahren, als er noch ein bisschen
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