Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Augusto Cury
Vom Netzwerk:
Menschen neigen dazu, Führungspersönlichkeiten hinterherzulaufen, ohne sie infrage zu stellen. Ich muss zugeben, dass ich, während ich den Wunderheiler beobachtete, Dimas angeschaut und gedacht hatte: »Nicht mal Engelshand wäre derart dreist.« Dieser hatte seinerseits durch Bartholomäus schon ein wenig über meinen Charakter erfahren und gedacht: »Nicht mal dieser arrogante Intellektuelle würde die anderen derart manipulieren.« Und Honigschnauze, der offenherziger war als wir beide, sagte laut: »Also solche Halluzinationen wie dieser Typ hatte ich nur mit zwei Litern Wodka in der Birne!«
    Kaum hatten wir unserer Missbilligung Ausdruck verliehen, kamen wir ins Grübeln. Derselbe Gedanke war uns plötzlich durch den Kopf geschossen: »Warum beobachtet der Meister diesen Kerl? Ob er ihn womöglich in unser Team aufnehmen will?« Diese Vorstellung war so unangenehm, dass wir wie aus einem Munde sagten: »Dann steige ich aus!«
    Beklommen beobachteten wir den Meister aus den Augenwinkeln und hofften inständig, er möge Edson den Rücken zukehren, doch das Gegenteil geschah, er näherte sich ihm. Ihre Blicke kreuzten sich, und uns schlug das Herz bis zum Hals. Zu unserer Erleichterung sagte der Meister nichts, sondern schüttelte nur tadelnd den Kopf.
    Der Traumhändler verzieh jede Verfehlung. Das Einzige, was er nicht tolerierte, war das Laster, seine Mitmenschen manipulieren zu wollen. Das menschliche Bewusstsein war für ihn unantastbar. Die Entscheidungsfreiheit durfte nicht eingeschränkt werden. Seine größte Kritik am Gesellschaftssystem bestand darin, dass es eine nicht existierende Freiheit verkaufte, eine Freiheit, die zwar in den Demokratien verbrieft, aber nicht in den Individuen verankert war. Es gab viele Sklaven, die an ihre verstörenden Gedanken und Sorgen gekettet waren.
    Nachdem er den Wunderheiler schweigend getadelt, aber nicht an den Pranger gestellt hatte, servierte der Meister ihm zwei Feststellungen und zwei Schlussfolgerungen: »Wunder überzeugen niemanden. Würden sie überzeugen, hätte Judas nicht Jesus verraten. Wunder können den Körper verändern, aber nicht den Geist. Würden sie ihn verändern, so hätte Petrus niemals geleugnet, Jesus zu kennen.«
    Edson verschlug es die Sprache. Er wusste nicht, was er sagen sollte, denn darüber hatte er noch nie nachgedacht. Der Meister schob noch eine bombastische Schlussfolgerung nach, die mich als Hochschullehrer erschütterte: »Der Mann aus Nazareth, dem du zu folgen vorgibst, hat seine Macht nie dafür genutzt, die Menschen zu beherrschen, seine Zuhörer zu verführen und Anhänger zu gewinnen. Deshalb hat er gegen jede Vermarktungslogik alle, denen er geholfen hat, darum gebeten, niemandem etwas davon zu erzählen. Es sollten ihm nur diejenigen folgen, die sich aus einem spontanen Gefühl heraus zu ihm hingezogen fühlten. Er wollte nämlich keine Diener, sondern Freunde.«
    Diese Worte regten mich zu einem gedanklichen Spaziergang durch die Geschichte an. Mir kam in den Sinn, was für entsetzliche Dinge die Europäer in den vergangenen Jahrhunderten im Namen Christi getan hatten: Sie hatten getötet, gefoltert, Kriege geführt, unterworfen, verletzt, verstoßen. Sie hatten die Sanftheit des Mannes, der niemanden beherrschte und niemals Diener akzeptierte, mit Verachtung gestraft. Es waren Jahrhunderte schrecklicher Kämpfe mit Millionen von Toten im Namen einer Fantasiegestalt gewesen, Jahrhunderte voller Hass und Feindschaft gegenüber Andersgläubigen, einer Feindschaft, deren Auswirkungen bis heute zu spüren waren. An der Seite des Meisters begann ich zu ahnen, dass ich gar kein überzeugter Atheist war, wie ich bisher immer gedacht hatte, sondern ein scharfer Gegner religiöser Institutionen.
    Der Wunderheiler war wie versteinert; noch nie hatte ihn jemand belehrt, ohne ihn dabei bloßzustellen. Nachdem der Meister alles Nötige gesagt hatte, ging er von dannen, während seine verblüfften Zuhörer sich fragten, was eigentlich passiert war. Wir, seine drei Begleiter, atmeten auf. Doch wie lange würde unsere Erleichterung wohl anhalten? Wir wussten es nicht.
    Am nächsten Tag erschien in den Eilnachrichten ein Artikel über die letzten Ereignisse. Die Schlagzeile lautete: »Ein Fremder verwandelt Trauerfeier in einen blühenden Garten«. Ein heimlich aufgenommenes Foto, das zeigte, wie wir die Feier verließen, prangte auf der Titelseite. Die Reportage enthielt keine Verleumdungen, sondern einige interessante

Weitere Kostenlose Bücher