Der Traumhändler
zurück. Obwohl sie auf mehr Ablehnung gestoßen waren als erwartet, konnten sie auch von wunderschönen Erlebnissen berichten, die zwar weder ihr Bankkonto aufgefüllt noch ihre gesellschaftliche Position verbessert, sie aber zu sich selbst zurückgeführt hatten.
Einige hatten neue Freunde gefunden, die sie gleich mitbrachten. Monika hatte fünf Models im Schlepptau, die angesichts der ungewöhnlichen Laufstege, die sie erwarteten, ganz aufgeregt waren. Jurema und ich erschienen in Begleitung zweier Hochschullehrer und zweier Studenten. Dimas kam zusammen mit Dr. Lukas und seiner Frau, und Salomon mit seinem früheren Psychiater, einem Spezialisten in der Behandlung von Angststörungen, der jedoch selbst ständig mit Depressionen zu kämpfen hatte. Er war von der Freude seines Patienten angesteckt worden und wünschte sich mehr von diesem sozialen Antidepressivum.
Aufgeregt redeten alle durcheinander und erzählten davon, wie sie es genossen hatten, sich ohne Vorbehalte auf Menschen einzulassen und ihnen zuzuhören, die normalerweise anonyme Statisten in ihrem Leben geblieben wären. Sie hatten entdeckt, welch großes Vergnügen es bereitet, miteinander Gedanken auszutauschen und Gefühle und Sehnsüchte zu teilen, und äußerten, dass die anonyme Solidarität sie mit unbekannter Freude erfüllt hätte.
Insgesamt waren achtunddreißig »Fremde« zur Gruppe gestoßen, unter ihnen auch zwei orthodoxe Juden und zwei Muslime. Plötzlich merkten wir, dass Bartholomäus fehlte, doch Dimas beruhigte uns und richtete artig aus, er wäre bei einem Freund und würde bald nachkommen.
Wir waren alle so begeistert, dass wir gleich vor Ort das erste der vielen Feste improvisierten, die wir in unserem Projekt noch feiern würden. Reiche und Arme, Gebildete und Analphabeten, Christen, Muslime, Juden und Buddhisten aßen und tanzten zusammen, tauschten Gedanken aus und begegneten sich ohne Vorurteile. Unser einziges Ziel bestand darin, uns gegenseitig einen Teil von uns selbst zu schenken.
Nicht mal Robespierre in seinem philosophischen Delirium hätte sich vorstellen können, dass die drei Säulen der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, in einer ausgelassenen, gemeinsamen Feier von so unterschiedlichen Menschen lebendig werden konnten.
Der Meister sah unsere Freude und sagte: »Der Traum von Gleichheit wächst nur auf dem Boden der Achtung der Unterschiede. In unserem Wesenskern, unserer Persönlichkeit und Gedankenwelt, unserem Verhalten und unserer Sichtweise und Interpretation der Phänomene der Existenz werden wir niemals gleich sein, und das ist gut so!«
Leider waren aber nicht alle Paare bei ihrer Mission erfolgreich gewesen. Mein Freund Edson war offensichtlich auf größere Schwierigkeiten gestoßen, denn er hatte zwei blaue Augen. Entweder war er zweimal unglücklich gestürzt oder er hatte wirklich gleich zweimal was aufs Auge gekriegt. Wir scharten uns um ihn, um zu erfahren, was geschehen war, und er berichtete, dass er zunächst zwar einige Mitmenschen mit seinem Altruismus angesteckt habe, dann aber verspottet und tätlich angegriffen worden sei: »Ein Mittfünfziger hat mich gefragt, ob ich die Bergpredigt kenne, und ich sagte natürlich ja.« Edson stockte beschämt.
Ich wollte ihn ermuntern, weiterzusprechen, und fragte: »Aber das ist doch gut?!«
»Ja, aber dann sollte ich ihm was draus aufsagen, und weil ich den Text doch auswendig weiß, hab ich das auch getan …«
Er machte erneut eine Pause und lief rot an. Daraufhin rief Dimas: »Aber das ist doch toll?!«
»Ja, aber als ich an die Stelle kam, wo‘s heißt, dass wir die andere Wange hinhalten sollen, hat er mich gefragt, ob ich daran glaube. Und ich habe ohne zu zögern bejaht …«
Wieder hielt er inne, weil es ihm so peinlich war. Der Meister hörte aufmerksam zu, und diesmal war es Monika, die einwarf: »Aber das ist doch wunderbar, Edson?!«
Darauf flüsterte Edson: »Ja, das heißt, nein. Da verpasste er mir nämlich eine schallende Ohrfeige! Es tat höllisch weh, und ich war noch nie so wütend. Meine Lippen zitterten, und ich hatte Lust, dem Typen an die Gurgel zu gehen, habe mich aber zusammengerissen.«
Der Meister machte angesichts von Edsons Heroismus ein besorgtes Gesicht.
»Herzlichen Glückwunsch!«, sagte Professora Jurema. »Das ist ein wahres Wunder.«
Doch Edsons Kleidung war zerschlissen und sein Gesicht völlig zerkratzt.
»Und warum ist dein rechtes Auge auch blau?«, fragte Salomon,
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