Der Traumhändler
mich, ob der Raum wohl groß genug wäre und ob er auch eine Klimaanlage und bequeme Sitzgelegenheiten hätte. Immerhin waren die Leute, mit denen wir es zu tun bekommen würden, äußerst anspruchsvoll und ein Maximum an Komfort gewöhnt.
Mir war gesagt worden, das Publikum würde aus ungefähr hundert Unternehmern und Geschäftsleuten bestehen, unter ihnen nur fünf Frauen. Es handelte sich um Industrielle, Banker, Bauunternehmer und Inhaber von Supermarkt- und Ladenketten. Sie verkörperten den größten Teil des Reichtums im gesamten Bundesstaat.
Ich richtete meinen Gesprächspartnern aus, dass der Meister die Einladung annehme, dämpfte aber sofort ihre freudige Erwartung. Um sie ein bisschen einzuschüchtern, sagte ich, der Traumhändler sei in der Lage, sogar den geübtesten Dialektiker in die Enge zu treiben, und was seine Radikalität anginge, sei Lenin im Vergleich zu ihm ein Musterknabe. Dann legte ich noch einen drauf und warnte, dass er sie womöglich als Ausbeuter und Raubtierkapitalisten bezeichnen würde.
Doch obwohl sie das gar nicht witzig fanden, überwog schließlich doch ihre Neugier. Sie wollten diesen offensichtlich faszinierenden Mann selbst erleben und sich aus seinen Gedanken die Perlen herauspicken. Die Adresse kam ihnen allerdings merkwürdig vor, da ihnen die Örtlichkeit nicht bekannt war und sie ihre Veranstaltungen stets in den feinsten Sälen der Stadt abhielten.
Zum verabredeten Termin machte sich der Meister auf und hieß uns, etwas später nachzukommen. Offenbar wollte er meditieren und sich sammeln, um in der bevorstehenden Schlacht der herrschenden Klasse mit seinem Scharfsinn den Teppich unter den Füßen wegzuziehen.
Immerhin war es für ihn eine ideale Gelegenheit, der Finanzelite zumindest argumentativ das Rückgrat zu brechen. Wieder einmal ahnte ich nicht, dass ich bald darauf völlig fassungslos sein würde.
Da auch wir den vom Traumhändler ausgewählten Ort nicht kannten, fragten wir immer wieder nach dem Weg, und als wir die Straße endlich gefunden hatten, fanden wir auf der Höhe der betreffenden Hausnummer das Gebäude nicht. Die Straßenbeleuchtung war äußerst spärlich, und aus dem Dunkel tauchte plötzlich ein Grüppchen Leute auf, das scheinbar ebenfalls nach etwas suchte. Es waren einige der geladenen Unternehmer und Geschäftsleute, die schon vermuteten, ich hätte ihnen die falsche Adresse gegeben. Dem war nicht so, aber der Meister, der als Stadtstreicher ja nicht in diesen Kreisen verkehrte, hatte sich wohl geirrt.
Zusammen mit den argwöhnisch gewordenen Geschäftsleuten liefen wir die Straße noch ein wenig hinauf und standen plötzlich vor einem riesigen Friedhof. Es war der berühmte historische Recoleta -Friedhof, neben dessen Eingangstor zu unserer Überraschung genau die Hausnummer prangte, die wir suchten. Mir fiel dazu nichts mehr ein. Der Traumhändler hatte ja sowieso schon den Ruf weg, nicht ganz bei Sinnen zu sein. Jetzt war er wohl völlig ausgerastet – und lachte sich wahrscheinlich am anderen Ende der Stadt gerade eins ins Fäustchen.
Nervös sagte Salomon: »Die Gespenster in meinem Innern krieg ich ja grad noch in den Griff, aber das hier ist mir zu viel. Ich hasse Friedhöfe, erst recht im Dunkeln. Kommt, wir gehen!«
Ohne große Überzeugung fasste ich ihn am Arm und bat ihn darum, Ruhe zu bewahren, denn inzwischen kam eine Luxuskarosse nach der anderen vorgefahren, und bald hatte sich eine größere Menschentraube um uns herum gebildet. Herren in teuren Anzügen redeten aufgeregt durcheinander, während ich mich zum ersten Mal vor diesen Blutsaugern erniedrigte und immer wieder um Entschuldigung für die falsche Adresse bat.
Gerade als wir alle zusammen wieder gehen wollten, öffneten sich plötzlich quietschend die hohen Friedhofstore. Honigschnauze begann zu zittern und hielt sich an Engelskralle fest.
»Ich geh da nur rein, wenn ich mich vorher mit Wodka volllaufen lassen kann!«
Kaum hatte er diese Bemerkung gemacht, tauchte zu unserem Schrecken aus dem Friedhofsinnern eine Gestalt auf, deren Gesicht in der Dunkelheit nicht zu erkennen war, und winkte uns herein. Verstört traten wir näher, und das Licht der Grablaternen fiel auf den Redner des Abends, den Meister. Wir konnten es kaum glauben: Die Adresse war richtig gewesen.
Nicht nur die Geschäftsleute – auch wir Jünger zögerten und folgten ihm dann etwas verzagt über den nächtlichen Friedhof, wobei sich alle aus den Augenwinkeln anschauten und fragten:
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