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Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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extremen Erwartungen seiner Eltern (an sein Studium und seine Noten) immer bis zum Morgengrauen medizinische Schwarten und Lexika gewälzt hatte, bis ihm irgendwann eine Sicherung durchbrannte und er den Verstand verlor. Dieselben Alleswisser behauptetenauch, sein großer Kindheitstraum sei es gewesen, eines Tages Sportreporter beim Radio zu werden, und deshalb habe er bei den Bolzereien auf dem Schulhof nicht mal als Torwart fungiert (ein Posten, den niemand gern übernahm) oder, noch schlimmer, als Schiedsrichter, sondern sei lieber am Spielfeldrand sitzen geblieben und habe sein großes Idol Darío Verdugo nachgemacht, der landesweit der unbestrittene König der Radioübertragung war, weil er allein durch die Magie der Sprache (die Aktionen forcierend, Metaphern erschaffend, Spielzüge erfindend) einer Begegnung Feuer, Tempo und Spannung geben konnte, selbst wenn sie auf dem Platz kurz vor dem Tod durch Langeweile stand.
    Und dann gab es noch welche, die behaupteten steif und fest, der Verrückte sei alles andere als verrückt, er sei sogar vernünftiger und gescheiter als wir alle zusammen, wenn ich’s dir sage, mein Lieber, dieses Früchtchen spielt doch bloß vor aller Welt den Schwachkopf.
    Fest stand letztlich nur, dass Cachimoco Farfán von den Leuten durchgefüttert wurde und ganz Coya Sur ihn gernhatte und umhegte, als wäre er der illustre Spross unserer Siedlung. Und natürlich amüsierten wir uns köstlich über das aberwitzige Kraut und Rüben seiner durchgeknallten Erzählungen.
    Einzig Bruder Zacarías Ángel hielt mit seiner Zuneigung hinterm Berg und glaubte, er müsse Cachimoco einem Exorzismus unterziehen und ihm den Teufel austreiben. Mehr als einmal hatte er ihn dafür in seinen Gottesdienst schleppen wollen, der Spinner hatte sich seinem Griff aber stets strampelnd entwunden und dabei eine Suada medizinischer Fachbegriffe gezetert, die in den Ohren des Evangelikalen blasphemische Botschaften der bösen Geister waren, von denen er besessen war.
    Eine Zitrone nach der anderen aussuckelnd, »damit der Hals frei wird«, sprach Cachimoco Farfán seine Erzählungen in sein Büchsenmikrophon, mischte seine sportlichen Schnörkel mit obszönen Ausrufen und dem medizinischen Vokabular, das von seinem Aufenthalt in den Vorlesungssälen der Universität zeugte, und süßte alles fröhlich mit dem häuslichen Klatsch und Tratsch, der ihm von den frechsten Schandmäulern der Siedlung eingeflüstert wurde, damit er ihn in seine Übertragungen einflocht.
    Von ihm unbeabsichtigt und von uns unbemerkt gewann Cachimoco Farfán wie nebenbei Einfluss auf unser tägliches Leben. Weil nämlich vielen von uns seine Flüche ständig auf der Zunge lagen und sein sonderbarer Klinikjargon in den alltäglichen Umgang mit unseren Mitmenschen Einzug hielt. »Ich brech dir gleich das Foramen sacrale«, sagten wir beispielsweise zu einem Arbeitskollegen, der uns gehörig auf den Zeiger ging. Oder wir nannten ein zappeliges, rauflustiges Kind ein »venerisches Kondylom«. Ging auf der Straße ein Fräulein mit staksendem Schritt und verkniffenem Po vorbei, raunten wir einander zu, die Hübsche da, mein Lieber, habe sicher Schmerzen an ihrer »Commissura labiorum«.
    Aber natürlich stand uns der Sinn nicht immer danach, zu lachen und Cachimocos Spinnereien witzig zu finden, und manchmal brachte er uns so zur Weißglut,dass wir ihn hätten auf den Mond schießen können. Vor allem wenn nach einem haushoch verlorenen Spiel bei allen die Nerven blank lagen und er zu uns in die Umkleide kam, um uns zu interviewen, uns seine schmierige Büchse unter die Nase hielt und loslegte: »Hier sind wir wieder, liebe Hörerinnen und Hörer, live aus der nach Gardnerella vaginalis miefenden Kabine, und bei uns ist der Spieler Spermium Díaz (so genannt, weil er so klein und dickköpfig ist), und von ihm hätten wir gern mal persönlich gehört, wie er uns diesen Spielzug erklärt, der den Ausgleich hätte bedeuten können, diesen vermasselten Doppelpass im Strafraum, als Catuna Ramírez ihm einen Zuckerpass vorlegte und dieser Schwindsüchtige einen schankrösen Bubo zurückspielte.« Da wollte ihm dann mancher nur noch den Hals umdrehen.
    Aber jedenfalls stand fest (und darin waren wir uns ausnahmslos einig), dass Cachimoco Farfán uns etwas beigebracht hatte, das wir gelernt und als absolute Wahrheit verinnerlicht hatten: Kein Tor und kein gelungenes Zuspiel und auch sonst nichts von Bedeutung im Leben war vollständig, wenn es nicht

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