Der Traummann aus der Zukunft (German Edition)
mit ihrer Aufgekratztheit. Hätte sie vielleicht doch hochgehen sollen? Und dann? Klingeln und sich als Emilia Liebig, seine Zukünftige, vorstellen? Das war natürlich total absurd. Trotzdem, sie musste ihn irgendwie zu Gesicht bekommen. Vielleicht hinter den Fenstern, wenn es dunkel war? Allerdings, im Dunkeln warten, bis er vielleicht in die Nähe eines Fensters im vierten Stock kam, wobei man von der Straße aus eh nicht viel erkennen konnte, das war auch nicht sehr effektiv.
Emilia blätterte gedankenverloren in ihrem Skizzenbuch und malte eine Frau mit einem Fernrohr. Ein Fernrohr war gar keine schlechte Idee! Sie sprang auf, so dass der Stift auf den Boden rollte, ging in den Flur und machte sich am Schuhschrank zu schaffen. Emilia hatte noch irgendwo ein Fernrohr, das Erbstück ihres Großvaters, der damit oft in den Wald gefahren war, um Vögel zu beobachten. Sie fand es unter Bergen von alten Schuhen, nahm es aus der sperrigen Lederhülle, schaute hindurch … und stieß einen kleinen Schrei aus. Ein riesiges Auge starrte sie an. Es war Bernhards, der plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihr stand und seinen vertrauten Geruch nach staubigen Büchern verströmte.
„Was machst du denn da?“
Emilia fühlte sich ertappt und suchte nach den richtigen Worten.
„Ähh, ich habe mal mein altes Fernrohr hervorgeholt.“
„Wozu das denn?“
Ruhig bleiben, ermahnte sich Emilia. Bernhard konnte nicht im Geringsten ahnen, was sie damit vorhatte.
„Ich weiß nicht, als ich so durch den Park ging gestern und die Vögel zwitscherten, da dachte ich an meinen Opa.“
„Und jetzt willst du mit dem Ding etwa Vögel beobachten gehen?“
Emilia zuckte mit den Schultern:
„Warum nicht?!“
„Das ist schrullig. Das machen alte Leute.“
Bernhard ging Kopf schüttelnd an Emilia vorbei und warf einen Blick in den Schrank:
„Der könnte übrigens mal aufgeräumt werden. Das wär immerhin was Sinnvolles.“
„Ich glaub, das sind fast alles Deine Schuhe.“
Bernhard warf einen erstaunten zweiten Blick in den Schrank und entschied sich zu sagen:
„Trotzdem.“
Emilia spürte ungewohnten Ärger in sich aufsteigen. Bernhard benahm sich wie ein Pascha. Bis gestern hätte sie nichts erwidert und den Schrank aufgeräumt. Doch seit heute war etwas anders. Sie fühlte einen ungewohnten Abstand zu Bernhard, eine Art unbekannter Immunität, so als wäre ihr über Nacht eine zweite Haut gewachsen, die sie vor Bernhard schützte. Und Emilia war auch klar, woher das kam. Bernhard war plötzlich nicht mehr der einzige Mann auf dem Planeten, den sie bewohnte. Am Horizont flimmerte so etwas wie eine Alternative, auch wenn sich das Flimmern immer noch als Fata Morgana herausstellen konnte. Trotzdem, Emilia war abgelenkt von ihrem alltäglichen Leben … durch einen Namen: Weingarten . Ein schöner Name, fand Emilia. Er klang nach Italien, Wärme und Sonne. Sie schloss den Schrank, lief zurück in die Wohnstube und wog das Fernrohr in der Hand. Tagsüber machte es wirklich keinen Sinn. Und im Dunkeln damit in fremde Fenster schauen, konnte man dafür nicht sogar verhaftet werden?
Auf dem Monitor blinkte eine Nachricht: Hilda.
Betreff: Frau Cocktailstrand
Also, dass das eine Art Garten gestern war, kann man ja noch durchgehen lassen. Aber wir haben Cocktails gekippt, keinen Wein.
…Wie jetzt, du warst echt schon in der Liebermannstraße und hast einen Zweimetertypen ausfindig gemacht, sogar mit Namen? Ich versteh kein Wort! …Oder stehst Du noch unter Restdrogen?
Emilia wechselte in den Chat und berichtete Hilda, was sie heute Vormittag erlebt hatte. Entgegen ihrer Vermutung machte sich Hilda gar nicht lustig darüber, sondern fand es richtig spannend:
Hilda: Und dann bist Du abgehauen? Nur weil du ne Tür oben gehört hast?
Emilia: Was hättest Du denn gemacht?
Hilda: Ich? Hmmm… Weiß nicht. Ich glaub, ich wär hochgegangen und hätte aus Spaß nach Jemandem gefragt, der hier wohnen soll, irgendein Name, der unten nicht am Klingelbrett steht… oder vielleicht doch einer aus dem Hinterhaus.
Emilia: Gute Idee. Aber ich war einfach zu aufgeregt.
Hilda: Wieso denn? Der kennt Dich doch überhaupt nicht.
Emilia: Ja, aber stell dir doch mal vor: Immerhin soll das die Liebe meines Lebens sein! Da wär doch jeder aufgeregt.
Hilda: Emilia!
Emilia: Was denn???
Hilda: Das ist ne lustige Geschichte, weiter nichts!
Emilia: Na und, Geschichten sind aber meist
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