Der Traurige Polizist
Tür.
Er war mit seiner Papierarbeit im Rückstand. Er zog die Akten der Adjutanten zu sich hin, aber es fiel ihm schwer, sich zu
konzentrieren. Er zündete sich eine Winston an und sog den Rauch tief in seine Lunge. Er fragte sich, ob er gezielt einen
Narren aus seinem Vorgesetzten gemacht hatte.
Und er dachte an die Gerissenheit seines Unterbewußtseins, und er begriff, daß er nicht ganz unschuldig war, Euer Ehren.
Schlürfende Schritte im Flur. Griessel ging vorbei, den Kopf gesenkt. Etwas an seinem Schritt störte Joubert.
»Benny?«
Die Schritte kehrten zurück. Griessel schaute zur Tür herein. Er war blaß.
»Benny, ist alles in Ordnung?«
»Schon okay, Captain.« Die Stimme klang matt.
»Was ist los, Benny?«
»Alles in Ordnung, Captain.« Ein wenig mehr Ausdruck. »Vielleicht irgend etwas, was ich gegessen habe.«
Oder getrunken, dachte Joubert, sagte jedoch nichts.
Griessels Gesicht verschwand. Joubert zündete sich eine weitere Zigarette an. Er zwang sich, sich auf die Arbeit vor |74| ihm zu konzentrieren. Akten über den Tod. Ein älteres Paar in Durbanville. Ein unbekannter Schwarzer neben einer Eisenbahntrasse
in Kuilsriver. Eine Frau in Belhar, die von ihrem betrunkenen Ehemann mit einem Schraubenzieher ermordet worden war.
Dann hörte er, wie sich jemand räusperte. Bart de Wit stand vor seinem Schreibtisch. Joubert fragte sich, wie er es schaffte,
wie eine Katze über den gefliesten Flur zu schleichen. Er sah, daß de Wit nicht lächelte. Er schaute ganz ernst.
»Ich habe Neuigkeiten, Captain. Gute Neuigkeiten.«
Joubert rasselte durch die Gänge des Sierra und fuhr durch den Nachmittagsverkehr. Er wünschte, er könnte die Überraschung
und Empörung zum Ausdruck bringen, die ihn wie ein zu enges Kleidungsstück umhüllten.
De Wit hatte ihm gesagt, daß er zu einem Psychologen mußte.
»Ihre Akte ist vorgeschlagen worden.«
Er war zu feige, zu sagen: Ich habe Ihre Akte dort hingeschickt, Captain, denn Sie sind ein Versager. Und ich, Bart de Wit,
brauche keine Versager. Ich muß sie loswerden. Und wenn ich das nicht mit dem Arztbericht schaffe, dann eben so. Graben wir
doch mal in Ihrem Kopf, Captain. Stecken wir einen Löffel in die Suppe in Ihrem Hirn und rühren ein wenig um. Vorsicht, Leute,
das könnte gefährlich werden. Der Mann vor Ihnen ist ein wenig … anders. Nicht ganz da. Geistig nicht im Gleichgewicht. An
der Oberfläche sieht er normal aus. Ein wenig übergewichtig, ein wenig nachlässig, aber im großen und ganzen normal. Doch
in seinem Kopf ist es ganz anders, meine Damen und Herren. In seinem Kopf sind ein paar Sicherungen durchgebrannt.
|75| »Ihre Akte ist vorgeschlagen worden. Es sind Termine frei …« Er schaute in die grüne Akte. »Heute nachmittag um 16.30 Uhr,
morgen um 9.00, um 14.00 Uhr …«
»Heute nachmittag«, sagte Mat Joubert eilig.
De Wit schaute überrascht von seiner Akte auf und nickte dann zufrieden. »Wir werden es veranlassen.«
Nun war er unterwegs, denn irgendwo in einem grauen Büro mit einer Couch für die Patienten hatte ein brillentragender Psychologe
Einsicht in seine Akte. Hatte bereits angefangen, Punkte nach Freud oder Jung oder sonst wem zu vergeben. Was haben wir denn
da? Die Frau ist gestorben? Minus zwanzig. Disziplinarverfahren? Minus zwanzig. Und weniger aufgeklärte Verbrechen. Minus
vierzig. Er hätte doch etwas unternehmen können. Insgesamt minus achtzig.
»Wir behalten die Sache im Blick, Captain. Mal sehen, ob die Therapie hilft.« Eine verdeckte Drohung, aber ganz offensichtlich
de Wits Trumpfkarte.
Vielleicht war das gut. Immerhin hatte in seinem Gehirn eine gehörige Unordnung geherrscht. Hatte geherrscht? Konnte man tatsächlich
über den eigenen geistigen Zustand urteilen? Wie normal war er in Macassar gewesen, als er sich die verbrannten Überreste
der drei Menschen angeschaut hatte, als er ihre Stimmen in seinen Ohren hörte? Das hohe, schrille, urzeitliche Schreien, das
Geister ausstoßen, wenn sie die Körper nicht verlassen wollen, die Lautstärke noch erhöht durch das Kreischen des Fleisches,
als es den schmerzhaften Tod durch Feuer starb. Alle Schmerzrezeptoren überflutet durch die gnadenlose Hitze.
War das normal?
War es normal, daß er sich zum soundsovielten Mal fragte, ob er sich nicht die Mühe machen sollte, zu den Toten überzutreten? |76| War es nicht besser, selbst zu entscheiden, wann und wie? War es falsch, sich vor dem letztlich doch
Weitere Kostenlose Bücher