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Der Traurige Polizist

Titel: Der Traurige Polizist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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abgefunden, daß Sie mit einer Psychologin sprechen?«
    »Ja.« Das war nicht die ganze Wahrheit, denn er hatte sich auf diesen Besuch gefreut. Daran hatte er zwischen den Besuchen
     bei den Mauser-Besitzern am Kap zu kauen gehabt. Er hatte spekuliert, er hatte über die verschiedenen Möglichkeiten nachgedacht,
     denn es gab nicht nur einen Grund. Nach dem vorigen Besuch war es ihm vorgekommen, als wäre der Abszeß in seinem Kopf … der
     Druck hatte abgenommen, der graue Vorhang zwischen ihm und dem Leben war ein wenig blasser geworden.
    Aber da ist noch etwas anderes, Dr. Hanna. Die Herz-Schmerz-Geschichte |162| des verdammten Polizistenidioten und der Tochter des Totengräbers. Ein Krimi in einem kurzen Akt mit einem überraschenden
     Schluß. Der Traum jedes Psychologen, Dr. Hanna. So viele Nuancen, mit denen man sich beschäftigen kann. Selbstbild, Sex …
    Es überraschte ihn, als ihm klarwurde, daß er mit Hanna Nortier darüber sprechen wollte. Über seine Erleichterung, daß sein
     sexuelles Verlangen noch vorhanden war. Über die Demütigung. Er wollte wissen, ob er auf Demütigung programmiert war.
    Es gab noch einen weiteren Grund, den er herausgefunden hatte, einen weiteren möglichen Grund, aus dem Mat Joubert sich auf
     den zweiten Besuch bei seiner ganz persönlichen Kopfdoktorin freute. Und das war die Ärztin selbst.
    Sie blätterte in der Akte vor sich. Das störte ihn. Konnte sie sich nicht daran erinnern, was er ihr beim letzten Mal erzählt
     hatte? War das Blut, das er auf ihren Teppich versprüht hatte, so leicht herausgewaschen worden? Sie schaute zu ihm auf. Er
     sah die Müdigkeit um ihre Augen herum, und plötzlich wurde ihm klar: Er war der achte oder zehnte oder zwölfte Patient des
     Tages, der dieser schlanken Frau gegenüber saß und ihr die Bitterkeit seines Lebens entgegenspie.
    »Sie haben beim letzten Mal sehr wenig über Ihre Mutter erzählt.« Ihr Kopf immer noch über die Akte geneigt. Er hörte ihre
     Stimme, die klang wie ein Musikinstrument. Er schob seine Hand in seine Jackentasche, zog die Benson & Hedges heraus,
     öffnete die Klappe des Päckchens, sah die Zigaretten in ihren ordentlichen Reihen. Es fiel ihm immer schwer, mit seinen dicken
     Fingern die erste Zigarette aus einem neuen Päckchen herauszuziehen. Er klemmte den Filter zwischen Daumen und Zeigefinger
     und zog. Die Zigarette |163| glitt heraus, Joubert faßte sie anders und steckte sie sich in den Mund. Dann erst begriff er, daß sie darauf wartete, daß
     er etwas sagte.
    »Meine Mutter …«
    Warum hatte er sich auf diesen Besuch gefreut? Er steckte die Hand in die Tasche, zog das Feuerzeug heraus, ließ die Flamme
     hochschießen, inhalierte gierig den Rauch. Ihm fiel auf, daß seine Hand ein wenig zitterte. Er steckte das Feuerzeug zurück
     in seine Tasche. Er schaute sie an.
    »Wie erinnern Sie sich an sie?«
    »Ich …« Er dachte darüber nach.
    »Als Kind, meine ich.«
    Als Kind? Wie erinnerte jemand etwas als Kind? Augenblicke, kurze Momente, die einen so großen Eindruck hinterlassen, daß
     man Form und Inhalt noch wußte, selbst wenn sie auf den Regalen des Gedächtnisses unter dichten Staubschichten begraben waren.
    »Meine Mutter war schön.«
    Er war sechs oder sieben, als ihm das zum ersten Mal bewußt geworden war. Es war auf der Voortrekker Road. In irgendeiner
     Kirchenkasse herrschte mal wieder Ebbe, und die Schwestern der Gemeinde hatten für die Samstagvormittage einen Pfannkuchenstand
     auf dem Bürgersteig organisiert. Er hatte seine Mutter angebettelt, ihn mitzunehmen. Die Vorstellung von frischen Pfannkuchen
     mit schmelzendem Zimtzucker, der noch zwischen seinen Zähnen knirschte, verwandelte ihn in eine unglaubliche Nervensäge. Am
     Ende gab sie nach, nur damit er den Mund hielt. Früh am Morgen standen noch vier oder fünf andere Frauen am Stand. Auf der
     Straße war nicht viel los, die Sonne erschien am östlichsten Ende der Voortrekker Road, als bestimmte die Straße ihren Umlauf.
     Er |164| schaute von ihnen weg, sein Rücken lehnte an einer Ladenfront, er hatte die Arme um seine Knie geschlungen, den Kopf auf die
     Arme gelegt. Er war müde, und es ärgerte ihn schon jetzt, daß er mitgekommen war, seine Hoffnung auf Pfannkuchen schwand im
     Angesicht der geschäftigen Frauen. Er schloß die Augen und hörte die Stimme seiner Mutter. Sie klang anders, nicht wie sonst.
     Er schaute zu ihr auf. Sie stand neben dem Tisch, sie packte etwas aus und stellte es hin, ihre

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