Der Tribun
Waffen. Cinna befand sich inmitten einer feindlichen Heeresversammlung.
Er schloss die Augen, zählte drei Schritte, dann heftete er seinen Blick auf Thiudawilis graumelierten Haarknoten, ließ sein Gesicht zu einer Maske gefrieren und marschierte mit gemessenen Schritten vorwärts. Um ihn drängten sich die Leiber. Cinna zwang sich, langsam und nur durch die Nase zu atmen, und hoffte, dass sie das Beben seiner Wangen nicht bemerken würden.
Ein Klumpen Erde traf seine Schulter, ein weiterer seine Brust, mit kleinen Kieseln vermischter Lehm, der sein Hemd beschmutzte. Hämisches Gelächter brandete auf, einzelne Zurufe, die er nicht verstehen musste, um sie als Beschimpfungen zu erkennen. Hraban riss seine Lanze hoch, brüllte etwas in die Menge, die sofort zurückwich; ein schlecht gezielter Klumpen hatte ihn getroffen, und sein Zorn bewirkte zumindest, dass die Umstehenden von weiteren Angriffen dieser Art absahen.
Sie gelangten an eine sanfte Erhebung, eine natürliche Bühne, auf der sie von Männern in auffallend langen, weißen Kitteln erwartet wurden. Die ebenso weißen Bänder in ihrem lose fallenden Haar – nur einer trug das Haar in einem festen Knoten – erinnerten Cinna an die Priester des Apollon; diese Männer waren allerdings wesentlich älter, trugen nicht nur das Haar, sondern auch den Bart ungeschnitten und hatten nichts von der Heiterkeit der jugendlichen Diener des Lichtgottes.
Eine Hand umschloss Cinnas Arm. Hraban schob ihn vor sich her in den Hintergrund dieser Bühne und schien ihn mit seinem Körper schützen zu wollen.
»Was immer geschieht, rühr dich nicht, und gib keinen Laut von dir, wenn dir dein Leben lieb ist.«
Mit diesen kaum hörbar geflüsterten Worten drehte er ihm den Rücken zu und baute sich breitbeinig neben seinem Vater auf. Cinna wagte einen vorsichtigen Blick über Hrabans Schulter hinweg auf die Menge, ein unübersehbares Meer von Häuptern, braune, helle, rothaarige Schöpfe zwischen Bronzehelmen. Schilde und Lanzen hatten sie vor sich aufgestellt, und vereinzelt blitzten die polierten Glieder von Kettenhemden.
Cinna glaubte sich zurück auf dem Forum von Rom, ein kleiner Junge auf den Schultern eines Sklaven, der über die zahllosen Köpfe hinwegblickte, tausende von Männern im Feiertagsstaat, der schneeweißen Toga. Sein ältester Bruder, Lucius, stand in der Nähe, getrennt von ihm durch ein straff gespanntes Seil, wies auf die Bühne, die Rostra mit ihren Schiffsschnäbeln und Säulen. Sein Vater war auf dieser Bühne, den linken Arm fest an den Körper gedrückt, damit die Toga nicht verrutschte, und die andere Hand hob und senkte sich im Rhythmus seines Redeflusses. Cinna erinnerte sich nicht an die Worte, nur an deren Melodie – mal sanft, mal leidenschaftlich, was er an seinem Vater gar nicht kannte –, an den Beifall, den Jubel der Menge und den Stolz, der seine Wangen hatte glühen lassen, ohne zu wissen, ob er stolz auf seinen Vater war oder darauf, zum ersten Male dabei sein zu dürfen, wenn das Volk von Rom wählte.
Ein Raunen ging durch die Menge vor ihm, ein Brüllen erhob sich wie von einem erwachenden Ungeheuer. Die Menge wogte, Lanzen, Schwerter und Keulen wurden hochgerissen, während die Reihen der Häuptlinge und Edlen auf der Bühne in Bewegung gerieten und eine Gasse bildeten.
Den Mann, der die Bühne betrat, hätte Cinna unter tausenden und abertausenden erkannt, als hätten sich diese Züge unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. Er wusste, dass auf dem Rundschild, den der Begleiter des Männer trug, das Bild eines sich im Todeskampf krümmenden Hirsches prangte. Arminius hatte sich das Haar wachsen lassen, das ihm nun bis in den Nacken fiel, und nur den Bart trug er ebenso ordentlich gestutzt wie damals. Cinna ballte und öffnete die Fäuste, und seine Handflächen wurden feucht, als er Hrabans Hand spürte, die seinen Arm leicht tätschelte, es sollte wohl beruhigen oder aufmuntern. Doch nichts schien die Wellen der Erinnerung an die Schläge, die Demütigung aufhalten zu können, die angesichts von Arminius’ stolzem Schritt, seinen befehlsgeübten Winken, seiner unbeteiligten Miene aufbrachen mit den dünnen Narben auf seinem Rücken.
Cinna hatte Mühe, dem Geschehen zu folgen. Es wurden offenbar Aufgaben verteilt unter Männern, die in römischen Kettenhemden und Helmen mit Rossbüschen auftraten, Helmen, die einmal Centurionen gehört haben mochten – oder deren Träger selbst abtrünnige Offiziere waren. Einige
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