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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Schmutz, der sich an den Rändern gesammelt hatte. Er hatte es übernommen, die alltäglichen kleinen Verletzungen zu versorgen, und weil er sich anstellig zeigte, unterwies Thauris ihn in der Wundversorgung.
    »Mein kleiner Bruder setzt dir gehörig zu«, stichelte Hraban.
    »Nicht der Rede wert«, entgegnete Cinna stirnrunzelnd. »Ich mag allerdings keine Narben.«
    Das Grinsen verschwand von Hrabans Gesicht, und er biss sich stumm auf die Unterlippe, während sein Blick zum Ufer wanderte, wo Inguiomers seinen Freunden Befehle erteilte. »Du könntest ihn viel lehren.«
    »Wenn mir die Zeit bleibt.« Cinna schob Ahtalas Hände weg und erhob sich, um den Steg zu verlassen. Hraban folgte ihm zögernd.
    »Sagtest du nicht, dass ihr mich bald gehen lassen werdet?«, fragte Cinna ihn über die Schulter hinweg.
    »Bald, ja. Wenn wir mit Dagumers’ Sippe verbündet sind, macht uns das stark genug, dass wir auf Ermanamers keine Rücksicht mehr nehmen müssen.«
    Dass Sunjas Hochzeit seine Heimkehr ermöglichen, ihm die Freiheit wiedergeben sollte, war eine Erkenntnis, die ihm bitter aufstieß. Er blieb stehen, um zu den Mauern hinaufzuschauen, zu den Mädchen, die auf dem Hügel ihren Reigen tanzten und dabei sangen, und erblickte Sunjas blaues Schultertuch unter ihnen. Ihre Heirat würde sie endgültig aus seinem Leben entfernen, und ihm bliebe nichts als das nächtliche Trugbild eines Mädchens, das ihm am Tage freundlich und kühl begegnete. Er war verrückt, auch nur einen einzigen Gedanken auf sie zu verschwenden, unempfindlich für jedes andere Augenpaar, dessen Leuchten ihm gelten mochte. Denn auch die Mädchen im Dorf waren nicht alle hässlich, obwohl die schwere Arbeit vereitelte, dass sich Venus in ihnen so stark verwirklichte wie in der Tochter ihres Herrn, deren Zöpfe leichter flogen als die der anderen, deren Augen heller strahlten und deren bloße Füße über dem Gras zu schweben schienen.
    »Bis zum Herbst bist du wieder in Rom.« Hrabans Arm stahl sich warm um Cinnas Schultern.
    Dieser warf einen Blick zurück. »Wenigstens werden eure Mauern bis dahin stark genug sein, um unliebsame Besucher fern zu halten.«
    »Solange wir sie nicht hereinlassen, magst du Recht behalten.« Ein schiefes Grinsen huschte über Hrabans Gesicht.
    Cinna brummte eine unverständliche Antwort und setzte sich in Bewegung, den Hang hinauf zum Dorf, an den Mädchen vorbei. Hraban folgte ihm, redete auf ihn ein, ungehört, weil Sunja Cinnas Aufmerksamkeit bannte und er dem herrischen Mädchen zeigen wollte, dass er sie nicht beachtete, sie nicht, wie üblich, kurz anblickte und grüßte. Nur im Augenwinkel suchte er sie, um die Wirkung zu prüfen, und Hrabans Gegenwart brauchte er, um seiner Vorführung die nötige Deutlichkeit zu verleihen.
    »… und das sollte auch so bleiben«, beendete Hraban gerade eine längere Ausführung. »Denkst du nicht auch?«
    Cinna zuckte leicht die Achseln und bemerkte, dass Hrabans Blick an ihm vorbeiflog zu den Mädchen, dass sein Gesicht sich aufhellte. Trotzig widerstand Cinna dem Wunsch, sich umzudrehen, und ging weiter. Ohne hinzuhören, beantwortete er Hrabans Geplauder mit nichts sagendem Kopfnicken und erhaschte einen Blick auf Sunja. Mit hängenden Armen, den Kopf leicht schräg gelegt, verharrte sie auf der Stelle, während die übrigen Mädchen sich an den Händen hielten, im Kreis hüpften und sangen.
    Cinna spürte das Lächeln in den Mundwinkeln; sie würde sich damit abfinden müssen, dass er ihr nicht die übertriebene Aufmerksamkeit schenken würde, die sie von jedermann gewohnt zu sein schien.
    *
    Die Wiesen standen hoch und verströmten den Duft der weißen und gelben Blüten; es war Zeit für den ersten Grasschnitt, für den der erste sonnige Tag nach dem nächsten Vollmond ausgewählt worden war. Schon am Morgen zog fast das ganze Dorf mit Karren und dem nötigen Gerät hinaus auf die Felder und die sie umgebenden Grasflächen. Das Getreide spross bereits in dichten Reihen und entlockte den Leuten, die die Halme prüften, ein zufriedenes Nicken. Dann wurden die Sicheln an die jungen Männer ausgegeben, während Mädchen und Frauen Rechen erhielten. Sie verteilten sich auf den weiten Wiesen, vor ihnen sanken in gerader Linie Gras, Kräuter und Blumen zu Boden und verströmten ihren betäubenden Duft.
    Inguiomers hatte einen Platz neben Cinna ertrotzt und schwang die langstielige Sichel; selbst wenn es seine letzten Kräfte kostete, würde er sich nicht zu den Jungen

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