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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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zurückschicken lassen, die auf die Pferde und Maultiere, auf Karren und Gerät achten sollten, was ihnen Gelegenheit gab, im Wald herumzutollen und sich zu balgen. Auf Inguiomers Miene war deutlich zu sehen, was er von diesem kindischen Nachäffen ruhmreicher Schlachten hielt – er, der bereits lernte, einen Gegner niederzuwerfen, zu entwaffnen und zu töten. Sein Naserümpfen ließ Cinna grinsen.
    Mit einem hellen Klang schlug Cinnas Sichel gegen einen Stein. Als er eine Scharte in der Schneide entdeckte, machte er sich auf den Weg zu den Karren, um sie herausschleifen zu lassen. Die meisten Jungen trieben sich zwischen den Bäumen herum, nur ein krummbeiniger Bengel mit mürrischem Gesicht war dort, und einige kleine Mädchen, die auf die Essensvorräte achten sollten, spielten auf den Wagenflächen.
    Während der Junge sich mit dem Schleifstein zu schaffen machte, boten die Mädchen Cinna Getränke und einfache Speisen an. Eine junge Frau, rothaarig und kaum älter als Sunja, trat hinter dem Wagen hervor und brachte ihm Krug und Becher. Dann griff sie in den Bausch des Rockes und beförderte eine Hand voll Haselnüsse ans Licht. Obwohl er Brot und Käse bevorzugt hätte, erschienen ihm ihre strahlenden Augen so entwaffnend, dass er sich die Nüsse in die ausgestreckte Hand perlen und den Becher nochmals füllen ließ. Wie zufällig berührte ihn dabei ihr Arm, ihr Handrücken glitt über seinen, und ein Blick ihrer hellen Augen flog in seine.
    Sie war eines der Mädchen aus dem Dorf, vaterlose Tochter einer Greisin von kaum vierzig Jahren. Ihr Name mochte ihm bekannt sein, doch er erinnerte sich nicht, und obwohl sie nicht mehr ganz taufrisch war, erschien sie ihm keineswegs unansehnlich. Sie schien seine Nähe zu suchen; den ganzen Tag lang rechte sie unweit von ihm Gras zu Bündeln, die andere Mädchen verschnürten und zum Trocknen auf Gestelle hängten. Wenn er Atem schöpfte, hielt auch sie inne und wechselte verstohlene Blicke mit ihm. Allzu deutlich erinnerte er sich an Hrabans verschwörerische Erklärungen vom Vorabend, dass sie an diesem Abend nicht nach Hause gehen, sondern unter sich bleiben würden – ohne die Alten. Sie würden Speck braten und Fladen rösten, Bier und Met trinken, sich Geschichten erzählen. Und außerdem gehörten ihnen in dieser Nacht die Mädchen aus dem Dorf – ihm selbst die Grasbraut, ein niedliches Ding, das am Vortag aus den Reihen der Mädchen gewählt worden war und eigentlich Liuba zustand. Doch Liuba war fort, und so ging dieses Recht auf seinen jüngeren Bruder über.
     
    Ahtala rannte den Pfad hinauf aus dem Wald. »Sie sind am See! Sie gehen schwimmen!«
    Sofort gerieten die Halbwüchsigen in Bewegung, die meisten ließen die Spieße fallen, an denen sie Speckstreifen hatten braten wollen, und sprangen auf.
    »Wenn wir sie ohnehin haben werden, können wir sie uns ebenso gut jetzt schon anschauen«, rief einer der Jüngeren, ein rothaariger Bursche, auf dessen Stirn und Wangen rote Blüten sprossen. Einige murmelten zustimmend, während Cinna kaum merklich den Kopf schüttelte und ein dünnes Grinsen mit Hraban wechselte.
    »Und welcher arme Hund hütet derweil das Feuer?«, tönte ein anderer.
    Sie wechselten Blicke untereinander, niemand wollte sich freiwillig melden, niemand der Dumme sein, der ausgeguckt wurde.
    »Schon gut«, warf Cinna in die Runde. »Wenn es euch so drängt, dann macht, dass ihr wegkommt, ihr Bauerntölpel!«
    Er war kaum verstummt, da waren die meisten bereits davongerannt; nur Hraban, Ahtala und ein paar Vorsichtigere waren zurückgeblieben.
    »Es macht dir nichts aus?«, fragte Hraban.
    »Dass ich nicht mit diesen vorlauten Bengeln im Gebüsch liegen werde, um kleinen Mädchen beim Baden zuzuschauen?« Cinna schnaubte verächtlich. »Du solltest mich besser kennen, mein Freund.«
    Hraban trat unschlüssig auf der Stelle, erwiderte jedoch nichts.
    »Na, lauft schon, wenn ihr’s nicht aushalten könnt!«, lachte Cinna und eilte auf sie zu, als wolle er eine Gänseschar aufscheuchen.
    Tatsächlich stoben sie davon, und kaum hatte der Schatten des Waldes sie verschluckt, umhüllte ihn die Ruhe des frühen Abends. Lerchen trillerten in der Höhe, Grashüpfer zirpten unsichtbar im Gras, aus dem Wald klang feines Zwitschern, und der Wind ließ die Blätter rauschen. Cinna ließ sich beim Feuer nieder und stocherte mit einem Zweig in der Glut.
    Bald nach Sonnenuntergang kroch die Nacht über die Felder heran, und mit ihr breitete sich Stille

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