Der Tribun
erheiterte ihn mit ihrem Geplauder. So erfuhr er, dass die Mädchen sich gelegentlich aufgemacht hatten, die Krieger heimlich zu beobachten, wenn diese sich aneinander erprobten, wenn sie gegen Abend zum Schwimmen gingen oder sich in Ringkämpfen übten. Und dass alle Mädchen im Dorf für ihn schwärmten, zumin dest die meisten, weil er jeden der Burschen in Schach halten konnte. Dann stand sie mit leuchtenden Augen vor ihm, legte ihre Hand auf seine Brust und dankte ihm für seinen Schutz.
Sie wurde sein Mädchen, manchmal so sanft und geduldig, dass er dachte, eine der Kühe habe Menschengestalt angenommen, dann wieder ein Raubtier, aber immer ein sprachloses Wesen, sobald er sie nur berührte, als sei Sprache ihr aufgezwungen, wesensfremd. Erst nach Tagen erfuhr er durch Zufall ihren Namen, Reika. Es störte ihn nicht, denn ihre kleine, enge Welt war ihm gleichgültig, sie selbst ein Zeitvertreib, Balsam, wenn auch ein wenig schal. Sie hatte eine Tür aufgestoßen, die er fest verschlossen hatte, das Auge des Schützen auf ein anderes, erreichbares Ziel gelenkt.
*
In dünnen Schnüren fiel Regen in das Blätterdach über ihnen, sammelte sich auf seinem Weg hinab zu dicken Tropfen, die auf das Gras klatschten. Die meisten Männer waren bereits in ihre Häuser zurückgekehrt, so auch Hraban und Inguiomers, die sich voller Vorfreude auf ein warmes Bad auf den Heimweg gemacht hatten. Ahtala hatte Cinna an diesem Nachmittag mit der Lanze arg zugesetzt, hatte ihn mehrmals in die Enge gedrängt, ihn geworfen. Cinna hatte es auf das Wetter geschoben, das nasse Gras, auf dem er immer wieder ausgeglitten war, bis er entnervt und erschöpft mit mürben Gliedern die Niederlage eingestanden hatte. Jetzt kneteten Ahtalas Finger seine angeschlagene Schulter, nahmen den Schmerz und hinterließen nichts als Wärme.
»Hraban erwähnte, dass du eine wichtige Rolle bei der Vernichtung der Legionen des Varus spieltest«, warf Cinna über die Schulter.
Ahtala zog seine Hände zurück, dann klopfte er Cinna kurz und unerwartet hart auf den Nacken. An diesem Tag war er ohnehin ungewöhnlich wortkarg gewesen, doch nun verfiel er in ein geradezu finsteres Schweigen.
»Und was war der Auftrag, den du so heldenhaft erfülltest?«
Das Kinn auf dem Knie, um das er die Arme geschlungen hatte, kauerte Ahtala neben ihm auf dem moosüberwucherten Baumstamm; eine einzelne Falte teilte seine Stirn, während er einen morastigen Flecken Erde anstarrte.
»Ich war der Bote«, murmelte er.
Ihre Blicke bohrten sich ineinander, bis Ahtala die Augen niederschlug.
»Welcher Bote? Hast du die Nachricht von eurem ruhmreichen Sieg nach Hause gebracht?«
Ahtala bewegte langsam den Kopf von einer Seite zur anderen. »Ich meldete Varus, dass der Weg sicher sei.«
»Welcher Weg? Wovon sprichst du?«
Zögernd erhob Ahtala sich, band seinen Gürtel neu, zupfte das klamme Hemd zurecht, das ihm am Leibe klebte. »Einen Tag, nachdem Ermanamers und sein Mitverschwörer Sigimers sich von Varus getrennt hatten, um die in der weiteren Umgebung verteilten Truppen heranzuziehen, waren die drei Legionen von Aufständischen angegriffen worden. Während die Römer ihr Lager errichteten, mussten sie Verluste hinnehmen, aber dann zogen sich die Angreifer zurück.«
Cinna legte den Kopf schief und fragte sich, wie lange Ahtala sich diese Rede bereits zurechtgelegt hatte, und wem sie gelten mochte. »Woher weißt du das?«
»Ich war der Bote, den Ermanamers auswählte. Ich überbrachte Varus und seinem Stab die Nachricht, Ermanamers habe die Aufständischen überwältigt und ihre Anführer erschlagen.« Ahtala schluckte hart, wandte sich ab. »In Wahrheit hatte er die römischen und italischen Offiziere der Hilfstruppen töten lassen und die Verbände dann mit den Kriegern zusammengeschlossen.«
»Und Varus glaubte dir?«
»Es kam von Ermanamers. Varus glaubte alles, was von Ermanamers kam. Unbesehen. Niemand schöpfte den geringsten Verdacht.«
Ein Laut des Erstaunens entfuhr Cinna. »Also ließ er weitermarschieren? Und wo fand die Schlacht statt?«
»Ich weiß nicht, ob man das eine Schlacht nennen kann …«, stieß Ahtala heiser hervor, bis ihm die Stimme versagte. Wieder schluckte er, streckte dabei den Hals und spannte die Wangen an. »Es regnete in Strömen, seit mehreren Tagen, und das war gut so. Gut für Ermanamers’ Pläne. Zwei der Tribunen wurden argwöhnisch, als wir die Palisade erreichten, die Ermanamers hatte vorbereiten lassen. Aber Varus
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