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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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wieder aufgerichtet hatte, beobachtete er die Tafelrunde über den Mähnenkamm des grauen Hengstes hinweg.
    In ihrem hellen Kleid war Sunja leicht zwischen Bräutigam und Vater auszumachen. Aufgeputzt wie sie war, konnte man sie nicht übersehen, und dass sie als einzige Frau unter den Männern saß, war nicht minder auffällig, eine Rose inmitten von Brennnesselgestrüpp. Daguvalda stand auf, das Horn in der Rechten, und erhob seine helle Stimme: »Bald wirst auch du, Inguiotar, nicht mehr widerstreben, dich dem Bund der Fürsten um Ermanamers anzuschließen, da deine Tochter jetzt die Frau eines der Ersten in diesem Kreise ist und starke Krieger gebären wird, die mit anderen unser Land umhegen werden als ein unbezwingbarer Zaun.«
    Er leerte das kostbare Gefäß, dann zog er seine Braut auf die Füße. Mit maskenhafter Miene stand sie dem Mann gegenüber, der ihre Handgelenke ergriffen hatte und festhielt wie die Zügel eines widerspenstigen Pferdes. Während Dagumers’ Männer das Paar hochleben ließen, führte Daguvalda seine Braut um den Tisch herum, wies gut gelaunt auf die Geschenke, und über die Rufe der Männer hinweg glaubte Cinna ihn deren hohen Wert preisen zu hören.
    Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Daguvalda, der Sunja in hartem Griff hielt, so dass sie ihm folgen musste, würde bemerken, dass sein Schwert nicht mehr dort lag. Cinna fasste die Riemen fester und wickelte sich die Führungsleine der Stute ums Handgelenk. Er wollte den Grauen schon zur Seite schieben, dann sah er, wie Daguvalda Sunjas Kopf in seine Hände nahm und versuchte, sie zu küssen, doch sie wand sich, schob ihn von sich.
    Unfähig, sich von der Stelle zu bewegen, spürte Cinna in seinen Händen die Erinnerung an ihre Wärme, an den Stoff von Kleid und Mantel, der sich unter seinen Fingern über ihre Haut schob, und das Herz schlug ihm im Halse.
    Unversehens waren ihre Augen auf ihn gerichtet, blind zuerst, dann aufflackernd. Cinna umkrampfte die Zügel. Sofort schnaubte der Graue, setzte sich in Bewegung, als wolle er den Mann umtänzeln, dessen Hände den Sattel packten. Mit einem Satz sprang Cinna auf das große Tier, das wiehernd stieg. Daguvalda fuhr herum, und Sunja befreite sich von ihm.
    Die Männer an der Tafel hatten sich umgedreht und sprangen auf, als der Graue schnaubend vorwärts stürmte, auf Daguvalda zu, der nach dem Dolch in seinem Gürtel griff. Dicht vor ihm riss Cinna an den Zügeln, dass das Pferd sich aufbäumte. Hastig rettete Daguvalda sich vor den fliegenden Hufen. Cinna wendete den Grauen auf der Hinterhand, sah, dass die Männer ausschwärmten, dass einer zum Tor rannte.
    Sunja war stehen geblieben, ihre Augen noch immer auf ihn gerichtet. Scharf gezügelt trabte der Graue zu ihr, und Cinna streckte die Hand aus. Ohne Zögern raffte sie das Kleid, ergriff seinen Arm. Überraschend behände sprang sie hinter ihm auf das Pferd und klammerte sich an ihn, als er den Hengst zum Tor lenkte, ihm Rücken und Kopf freigab.
    Scharfe Befehle und Rufe flogen über den Hof, als der Graue unter der doppelten Last prustend angaloppierte, gefolgt von der Rappstute. Erst jetzt ertönte Daguvaldas wütender Schrei.
    Einen Krieger, der sich dem Pferd in die Zügel werfen wollte, stieß Cinna mit einem Fußtritt beiseite. Der Graue preschte vorbei an zusammenlaufenden Menschen, die es nicht wagten, sich einem solchen Kriegsross in den Weg zu stellen, durch das Tor, den Hang hinunter, und tauchte dann ein in den Schatten des Waldes.
     
    »Reite durch das Wasser!«
    Cinna hatte vollkommen vergessen, wie schrill ihre Stimme klingen konnte, wenn sie Befehle erteilte. »Reite durch das Wasser! Die Hunde werden die Spur verlieren!«
    Mehr aus Gewohnheit denn aus Einsicht gehorchte er, lenkte den Grauen durch das Gestrüpp zum Seeufer und ließ ihn in das seichte Wasser springen. Den Pferden bereitete die wilde Jagd offensichtlich Vergnügen; in langen, eifrigen Sätzen arbeiteten sie sich durch das aufspritzende Nass, die schwarze Stute rannte voraus, sie war kaum zu halten. Wieder spürte Cinna Sunjas Nägel scharf an seinen Flanken.
    »Lass mich runter!«, rief sie. »Ich nehme das andere Pferd!«
    Diesmal überhörte er sie, schob ihre Finger weg, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor, sich an seinem Umhang festklammerte, bis es ihm die Kehle zuschnürte. Kaum saß sie wieder sicherer, zerrte sie an dem Stoff, wiederholte ihren Befehl; doch anstelle einer Antwort trieb er den Grauen vorwärts.
    Als plötzlich

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