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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Grauen schwang und zögerlich von dessen Rücken rutschte. Der Aufprall seiner Füße auf dem Boden erschütterte den ganzen Körper. Die Knie waren weich. Er strich sich benommen mit beiden Händen über die Schläfen und blies den Atem aus den Lungen.
    Wieder hatte sich ein Ring um ihn gebildet, wieder betrat ein Schatten diesen Ring – ein hoch gewachsener Mann fortgeschrittenen Alters in einem losen Kittel. Im zitternden Licht herbeigetragener Fackeln sah Cinna krausen Flaum auf den bloßen Waden. Er erkannte den Cherusker Segestes vor sich, der sich auf der Heeresversammlung Arminius entgegengestellt hatte, und atmete auf.
    Segestes hingegen schien ihn nicht zu beachten; als Cinna seinen Blicken folgte, sah er Sunja, die in ihrem zerschlissenen Kleid dastand, den Kopf gesenkt, die Arme schützend vor der Brust gekreuzt, über und über mit Schlamm und Schmutz befleckt. Sie presste die Lippen zusammen, und ihre Nasenflügel bebten. Niemand hatte die Zügel ihres Pferdes genommen, niemand sich ihr genähert. Dann flog Segestes’ Kopf herum.
    »Ich hörte von deiner Flucht«, hob er mit rauer Stimme an, »und davon, dass du Inguiotars Tochter entführtest. Sie muss dir gern gefolgt sein, denn du hättest ohne Hilfe nicht hierher gelangen können.«
    Cinna stutzte, ehe er leise auflachte. »Ich habe sie geraubt, Segigastis. Sie hatte keine Wahl.«
    »Inguiotar hatte sie dem Daguvalda versprochen.« Der Blick des Alten sprang argwöhnisch zwischen den jungen Leuten hin und her; dann kam er auf Cinnas Zügen zur Ruhe. »Hast du sie berührt, Gaius Cinna?«
    Mit einem erstickten Laut fuhr Sunja herum. Den von Erschöpfung und Angst steifen Leib eng an den Pferdekörper schmiegend, barg sie das Gesicht in den Händen.
    »Es ist kein Friede zwischen Inguiotars Leuten und uns«, sagte Segestes. »Andererseits ist sie nicht länger Inguiotars Kind, wenn –«
    »Ich habe sie nicht berührt, Segigastis.«
    Der Alte stutzte. »Wozu hast du sie dir genommen? Wolltest du sie zurückbringen? Hast du geglaubt, Inguiotar werde dich dafür belohnen?«
    »Dagumers wollte Inguiotar erpressen – durch die Hochzeit seines Sohnes mit Inguiotars Tochter sollte ein Bund mit Ermanamers erzwungen werden. Ich zog es vor, meine Auslieferung zu verhindern.«
    »Ein hübscher Plan. Ich selbst habe Inguiotar gewarnt, dass Dagumers unzuverlässig ist.« Bedenklich wog Segestes den Kopf. »Das erklärt aber nicht, warum du sie mitgenommen hast.«
    »Nenne es Dankbarkeit, Segigastis. Ich möchte, dass sie Vater und Mutter unversehrt zurückgegeben wird.«
    Aus dem Augenwinkel bemerkte Cinna, wie sich Sunja straffte, wie sie schwer atmend Scham und Furcht niederrang. Auf einen leisen Wink des Segestes hin löste sich eine Frau aus der Gruppe hinter ihm, trat zu ihr und verneigte sich ehrerbietig, berührte dann ihre Schulter.
    Die Menge, die sich mittlerweile eingefunden hatte, geriet in Bewegung, als die Frau Sunja zum Haus führte. Cinna blickte ihr nach, bereute seine rasche Entscheidung, die verpassten Gelegenheiten und fühlte sich wie ein Narr, als er das Grinsen auf Segestes’ Zügen sah, der einen Schritt auf ihn zu tat, ihm die Hände entgegenstreckte.
    »Sei gegrüßt«, fuhr Segestes in Cinnas Heimatsprache fort. »Du bist keinen Tag zu früh entkommen, Gaius Cinna. Liuba sucht dich bereits überall – nicht nur im Namen des Arminius.« Zwei warme Pranken umschlossen die zögerlich dargereichte Rechte. »Hier bist du sicher.«
    Ein Mädchen mit flachsfarbenem Haar, kaum älter als Saldir, trat aus dem Schatten und bot ihm den Begrüßungstrunk. Cinna nahm das Willkommen aus den Händen der Tochter des Segestes, der einladend auf die Tür seines Hauses wies.
    *
    Thrasa begleitete Cinna zu seiner Unterkunft, einem kleinen Haus ohne Stall, das dazu diente, Segestes’ Gefolgsmänner zu beherbergen. Ohne zu zögern hatte er sich anerboten, das Quartier mit dem Gast zu teilen. Die Luft war trüb von warmem Dampf, als sie eintraten. Eine junge Magd begrüßte sie stumm und wies zum Herd, neben dem ein großer Zuber stand, gefüllt mit dampfend warmem Wasser. Weiße Laken lagen bereit, und auf einer Truhe stapelten sich gefaltete Kleidungsstücke in allen erdenklichen Farben.
    Cinna war stehen geblieben, traute seinen Augen nicht. Mit sanftem Druck schob Thrasa ihn vorwärts, zupfte an seinem Hemd und forderte ihn neckend auf, die schäbigen Lumpen abzulegen. Unschlüssig gehorchte Cinna, zog das Hemd über den Kopf und löste den Riemen,

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