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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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dünnen Film auf seiner Haut bildete. Es war auch sein Blut.
    Tastend streckte sie die Hände aus, berührte seine, umklammerte sie und zog ihn in ihre Arme. Ihr blasses und verschmiertes Gesicht an seinem, warme, klebrige Finger an seinen Wangen, ihre heftige Umarmung, ihre fahrigen Lippen, die sein Ohr streiften, ihre erstickte Stimme, die seinen Namen hervorstieß, ihr Körper, der sich an seinen schmiegte, das leise Schniefen, das sich ihr entrang – nichts entging ihm, auch nicht die salzigen Tropfen, die über ihr Gesicht rannen, als er es mit Küssen bedeckte, so wie sie seines.
    Er hatte den Schwur gehalten, den Thauris ihm abverlangt hatte. Wort für Wort.
     
    Die Männer hatten Liubas Leichnam in eine Decke gewickelt, die Thauris ihm vor langer Zeit für seine Kriegszüge gewebt hatte, damit ihn stets ein Stück Zuhause begleite. Inguiomers war unter einer schützenden Plane aufgebahrt, lag in den weichsten Decken, die sie gefunden hatten, das aschfahle Gesicht sauber und vollkommen still. Sunja mied den Anblick, kauerte neben ihm, während der Regen in dicken Tropfen auf das notdürftige Dach trommelte, und hielt Saldir in ihren Armen, die den Arm ihres Bruders streichelte und trocken vor sich hin schluchzte; ihre Tränen waren versiegt.
    Sooft Cinna sie dort sitzen sah, fror ihn. Ahtala hatte seine Verletzungen versorgt, und Hraban hatte schweigend dabei gesessen und seine Lippen blutig gebissen. Mehr als einmal wollte Cinna sich ihm erklären, doch Hraban winkte nur ab. Nachdem ihr Anführer gefallen war, hatten die Gegner ratlos auf eine Fortsetzung des Kampfes verzichtet und waren abgezogen. Liubas Leiche hatte Hraban seinen Männern überlassen, jedoch selbst Hand dabei angelegt, Inguiomers aufzubahren. Dann war er durchnässt bis auf die Haut zu Cinna zurückgekehrt, um sich neben ihm niederzulassen, als hätte ihm dieser nicht gerade erst den Bruder erschlagen.
    »Er hat den Tod im Kampf gefunden«, stieß er schließlich hervor. »Das war sein Ziel.«
    »Inguiomers?«, staunte Cinna.
    Hrabans Miene versteinerte; er krampfte die Fäuste ineinander, bis die Knöchel weiß hervortraten, so dass Cinna seine Gedankenlosigkeit augenblicklich bereute. Mit geschlossenen Augen saß Hraban da, schluckte und atmete tief durch. Cinna murmelte eine Entschuldigung, legte zögernd seine Hand auf Hrabans Arm, drückte ihn sanft.
    »Er hat es gar nicht begriffen«, flüsterte Hraban erstickt. »Er hat gar nicht begriffen, dass er ihn umgebracht hat. Ich hätte ihn töten müssen – aber er war doch mein Bruder!«
    Schweigend ließ Cinna die Hand liegen, nickte Ahtala dankbar zu, als dieser sich leise entfernte, und beobachtete ratlos, wie einige Männer die Pferde abrieben, tränkten und fütterten. Er hatte Inguiomers vor Augen, der seinem Braunen die Hufe auskratzte, am Hals des Pferdes hing, auf dessen Rücken über die Wiesen flog. Er schüttelte den Kopf, und sein Blick blieb an der Plane hängen, unter der die Schwestern bei der Leiche Totenwache hielten.
    »Wird es nicht besser sein, wenn sich unsere Wege hier trennen? Wenn du die beiden wieder mit nach Hause nimmst?«
    Hraban hob den Kopf, und seine Augen glänzten verräterisch. »Das möchte ich Sunja nicht antun. Sie müsste im Hause ihres Vaters leben ohne Aussicht auf einen Mann. Bedenke, sie wird jetzt achtzehn Jahre alt, ihr erster Verlobter starb, der zweite Mann, der in Erwägung gezogen hatte, sie zu heiraten, weihte sich dem Wolfsbund, und dem dritten, der ein Betrüger war, wurde sie geraubt. Jeder sieht bei ihrem Anblick nur das Unheil, das sie verfolgt. Jeder – außer dir.«
    *
    Sie trennten sich noch am selben Tag, sobald der Regen nachließ und die Sonne die letzten Wolkenfetzen vertrieb. Waihtis und Ahtala brachten im Schutz einiger Krieger die beiden Toten zu den Eltern zurück, während Hraban mit den übrigen Cinna und seine Schwestern gen Süden begleitete. Als Cinna von dem Jungen Abschied nahm, den sie wie Liubas Leiche auf einer von zwei Pferden getragenen Bahre beförderten, löste er den bronzebeschlagenen Dolch von seinem Gürtel und legte ihn auf die Brust des toten Kindes, bevor einer der Männer die Decke über das wächserne Gesicht zog und sorgfältig feststopfte.
    Auf den Feldern stand reifes Korn, die Gerste wogte wie ein Fell im warmen Sommerwind und schimmerte bernsteinfarben in der Sonne, teilweise niedergedrückt von der Wucht des Sturms. Bauern, die sich zwischen ihren Bohnenstauden bückten, erhoben sich beim

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