Der Tribun
protestierend auf der Hinterhand stieg. Der Junge rannte mit gezücktem Schwert auf die verkeilte Menge zu. Zugleich zügelte ein gegnerischer Reiter sein Pferd, lenkte es zu dem Jungen, lachte unter dem glänzenden Helm. Da war ein Anflug von Stolz in den hellen Augen. Liubas Augen.
Inguiomers sah ihn, erkannte ihn und warf den Kopf zurück. Niemand hätte sagen können, was in ihm vorging. Er stand vor dem Reiter, ohne Rüstung, nur mit einem kurzen Schwert bewaffnet – eine Geisel für Liuba.
Ein durchdringender Schrei brach sich Bahn durch Sturm und Kampflärm, traf Cinnas Ohr wie ein vergifteter Pfeil. Er erblickte Sunja am Rande der Lichtung. Er sah, wie Liuba von Inguiomers abließ und auf sie zuhielt. Sah Inguiomers losrennen und glitt von seinem Grauen.
XXIV
»Du wirst dahin zurückkehren, wo du hingehörst, um zu sterben, wie die Sitte es verlangt.«
Liuba war abgestiegen und griff in Sunjas Kleid. Sie riss sich los, wich stolpernd vor ihm zurück, doch er setzte ihr nach, trieb sie mit kleinen Stößen vor sich her. Sie warf sich herum, rannte über den Weg, zwischen den Sträuchern hindurch. Der nasse Rock klebte an ihren Beinen, ließ sie straucheln.
Ungestüm sprang Inguiomers ihm mit gezücktem Schwert in den Weg. »Lass sie in Ruhe, Liuba! Geh zu deinen Leuten und lass sie in Ruhe!«
Liuba schnaubte, schubste Inguiomers zur Seite, doch der sprang den großen Mann an und krallte sich an ihm fest wie ein bissiges Tier. Unwillig schüttelte Liuba ihn ab, verfolgte Sunja, die ihr Pferd losgebunden hatte und vergeblich versuchte, sich auf dessen Rücken zu ziehen.
Cinna bahnte sich einen Weg durch das Getümmel, wich einem Prügel aus, lenkte einen Schwerthieb mit dem Schild ab, entwischte zwei feindlichen Kriegern, die uneins waren, wer angreifen solle, als er sah, wie der Junge sich aufrappelte, wie sich sein Körper spannte.
»Geh weg von ihm!«, schrie Cinna, rannte schneller, als Inguiomers sich nochmals auf Liuba warf, die Arme um dessen Hals klammerte. Liuba taumelte, dann stieß er kurz und heftig mit dem Schwert nach dem Angreifer, und der Junge erstarrte.
»Nein!«
Es war Hrabans Stimme, die das Getöse durchschnitt. Mund und Augen aufgerissen, hing Inguiomers an Liubas Rücken, langsam glitten seine Beine an dessen Körper herab, und sein Kopf kippte nach hinten. Eine einzige Bewegung Liubas löste die Umklammerung, und der Körper des Jungen schlug in einer Pfütze auf.
»Nein!«
Wie von einer Bogensehne geschnellt stürzte Hraban zu dem Gefallenen, zog ihn aus dem Schlamm auf seine Knie, während Liuba mit blankem, blutigem Schwert dastand. Dann zwei, drei Schritte zurückwich. Der Kopf des Jungen pendelte haltlos in Hrabans Händen, die fahrig an dem hellrot überströmten Hals nach einem Puls tasteten. Cinna schob sich zwischen Liuba und Sunja, die mit schreckstarrer Miene auf das leblose Kind starrte. Blut färbte Hrabans Knie und bedeckte die Pfütze mit Schlieren.
Hraban warf den Kopf hoch. »Er ist tot! Du hast deinen eigenen Bruder getötet, dein eigen Blut!«
Der Kampf war ins Stocken geraten. Den mit Hraban zurückgekehrten Reitern war es gelungen, die Angreifer zu überrumpeln, indem sie einen Keil in die Kampflinie trieben. Einige der Männer traten näher, starrten den toten Jungen an, dann Hraban, der sich erhoben hatte und mit glitzernden Augen einen Schritt auf Liuba zuwankte, Liuba, der abwehrend seine Klinge gegen ihn erhob.
»Du wirst mit mir kommen und dich vor deinem Vater rechtfertigen!«, schrie Hraban. »Du hast ihm das Licht seiner Augen genommen, die Freude seines Alters. Du hast seinen hellsten Stern ausgelöscht!«
Liuba rührte sich nicht, selbst als Hraban noch dichter zu ihm trat, blieb er stehen, blickte ihn eisig von oben herab an. Sunja schob sich an Cinna vorbei, vorbei an Liuba, der sie nicht zu erkennen schien, und strebte zu Inguiomers’ Leiche. Saldir trat aus dem Schutz eines mächtigen Baumstamms, bleich, die erschrocken aufgerissenen Augen auf Inguiomers gerichtet.
Sunja kauerte im Morast neben dem toten Knaben, ihre Hände schwebten zitternd über seiner Brust, ihre Schultern zuckten.
»Sie ist schuld an allem!«, dröhnte Liuba. »Sie hat sich nicht dem Willen ihres Vaters gebeugt und Unheil über uns gebracht. Wir bringen sie zurück und versenken sie im See, wie sie es verdient. Aber vorher soll sie Vaters Rache spüren.«
»Du bist wahnsinnig!«, rief Hraban.
Liubas Augen waren schmal und dunkel. »Sie wird aus unserer Mitte
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