Der Tribun
des anderen Gegners für einen entschlossenen Fußtritt gegen Liuba. Noch ehe der Getroffene begreifen konnte, was geschah, warf Cinna sich mit einem beherzten Sprung zur Seite. Doch die Beine gehorchten ihm nicht, er taumelte und stürzte.
Auf Wangen und Handflächen brannten Schürfungen. Die Kälte des gefrorenen Lehms kroch unter sein Hemd. Vor ihm war das Tor. Bewaffnete Männer versperrten den Weg. Liubas Männer, wie Cinna sich erinnerte. Einige hielten Spieße und Knüppel in den Händen. Und mitten unter ihnen stand Hraban.
Ein Schatten fiel über Cinna; jemand packte sein Hemd, zerrte unbeherrscht daran, bis der Stoff zerriss. Cinna griff nach dem Kragen. Kaum dass er die feine Locke fühlte, umschloss er sie mit der Faust.
Hraban tat einen Schritt nach vorn.
»Du wirst nicht gegen Vaters Willen handeln, Liuba.«
»Was geht dich das an?«, fauchte Liuba zurück. »Eigentlich befreie ich euch doch nur von einem überflüssigen Fresser.«
»Vater sieht das anders. Und du wirst ihm gehorchen.«
»Seit wann erteilt der jüngere Bruder dem älteren Befehle? Seit wann führst du meine Männer?«
Weitere Schritte näherten sich aus dem Dorf. Blinzelnd erkannte Cinna Inguiotar und den Priester Ahtareths, denen die jungen Männer einen Weg öffneten. Der Frost fraß sich durch Cinnas Haut, jagte Schauder durch seinen Körper.
»Wolltest du ohne Abschied gehen?«, knurrte Inguiotar.
»Ich kehre morgen zurück, Vater. Ich habe nur die Absicht, Ermanamers zu bringen, was ihm zusteht.«
»Zu bringen, was ihm zusteht? Wie kommst du darauf? Welche Verpflichtungen habe ich gegenüber Ermanamers, dass ich ihm meine Geisel aushändigen sollte?«
»Die wiedergewonnene Freiheit, Vater.«
Der Alte schnaubte. »Ich habe kein Bündnis mit ihm. Und ich habe nicht vor, eines mit ihm zu schließen. Es gibt keine Verpflichtungen.«
»Aber ich habe eine Verpflichtung – ich bin Ermanamers Gefolgschaft schuldig«, tönte Liuba.
Mühsam rappelte Cinna sich auf. Er befand sich zwischen den Gegnern, doch niemand griff nach ihm. Als Hraban ihm einen kleinen Wink gab, erhob er sich langsam und tat einen Schritt zum Tor hin.
»Bleib stehen!«, rief Liuba hinter ihm. »Du gehst mit mir, oder ich töte dich!«
Cinna tat einen raschen Atemzug und ging weiter. Er bemerkte kaum, dass Ahtareths zu ihm getreten war, eine Decke um seine Schultern legte und ihn beiseite zog.
»Wolltest du dich tatsächlich davonstehlen wie ein Dieb?«, erwiderte Inguiotar kalt. »Meinem Willen zuwiderhandeln? Nehmen, was mir zusteht, nicht dir?«
»Ich habe diesen Gefangenen hierher gebracht, Vater – ich bestimme, wohin er geht, und ob er lebt oder stirbt!«
»Ich bin dein Vater – dein Herr! Was du in mein Haus bringst, gehört mir, nicht dir!«
Bleich stand Liuba auf dem Hof; in seinen Augen flackerten grelle Lichter, während sich seine Finger um seine Oberarme krallten.
»Dein Sohn hat diesen Gefangenen angeboten, Inguiotar«, meldete sich nun der Fremde, der Bote, zu Wort, »und Ermanamers, der Sohn Segimers’, des höchsten Fürsten der Cherusker, der Führer der Stämme, hat seinen Anspruch geltend gemacht.«
»Der Führer der Stämme? Welcher Stämme?«, brummte Inguiotar verächtlich. »Er nennt sich Heerführer der Cherusker und hat doch nur einen Teil von uns hinter sich gebracht! Sein Vater ist der Höchste unter uns kraft seines Ruhmes – aber das verleiht dem Sohn keine Macht über alle Fürsten.«
Inzwischen waren mehr und mehr Menschen herbeigeströmt. Frauen und Kinder sammelten sich in sicherer Entfernung zu beiden Seiten des Tores. Unter ihnen erkannte Cinna Gunthis, die den Tag im Spinnhaus verbracht hatte; sie drängte sich zu ihrem Schwiegervater, zupfte an seinem Ärmel und wurde zur Seite geschoben.
»Er behauptet, er habe uns alle befreit vom römischen Joch. Legt er uns nicht gerade ein anderes auf, um das wir ebenso wenig gebeten haben?«, fuhr Inguiotar fort. »Sage Ermanamers, ich bin nicht seines Vaters Knecht und nicht seiner. Ich tue nicht, was ich nicht billige, und lasse mich auch nicht dazu nötigen.«
Liuba blickte in die Gesichter der Männer, die ihm den Weg versperrten, musterte einen nach dem anderen, während ein schiefes Grinsen Kerben in seine Mundwinkel schnitt.
»Mein Vater schmälert meine Ehre als Krieger und Gefolgsmann des Ermanamers, um das Leben eines schmutzigen Hundes zu retten?«
»Es geht nicht um das Leben eines schmutzigen Hundes«, versetzte Inguiotar kalt. »Es geht um den
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