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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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dieser Größe kann das einen Ochsen oder zwei gute Milchkühe kosten.«
    Die Sterne verblassten allmählich, als sie sich auf den Heimweg machten, der die unberührte schimmernde Fläche weithin sichtbar durchschnitt wie eine Wunde mit aufgebrochenen Rändern. Der Wind hatte bereits begonnen, ihre Spuren weicher zu zeichnen, während sie dem schmalen Pfad folgten, Cinna mit dem beladenen Gefährt vorneweg. Immer wieder blieb er stehen, verharrte ungeduldig in der eisigen Luft, bis Hraban, der sich nur mit einem Schal und den Wollbinden für die Hände vor der Kälte schützen konnte, zu ihm aufgeschlossen hatte. Er hatte seinen Umhang geopfert, um das erbeutete Tier darin einzupacken. Cinna schälte sich aus dem Mantel, um diesen Hraban anzubieten; als Hraban sich wortlos an ihm vorbeizudrängen versuchte, packte Cinna ihn am Hemd, und ihre Blicke trafen sich. Auf Hrabans Zügen erschien ein Grinsen, dann nahm er den Umhang.
    »Ich habe geschossen«, brummte er. »Und wehe dir, du widersprichst!«
     
    Sie zogen den schweren Schlitten abwechselnd. Der junge Hirsch war für ein Festmahl bestimmt – so gut glaubte Cinna die Gepflogenheiten der Cherusker inzwischen zu kennen, und sehr wahrscheinlich würden auch für ihn und das Gesinde einige Brocken abfallen. Die Aussicht lockte ein Grinsen auf seine froststarren Züge. Er hatte nicht gefragt, welche Gäste erwartet wurden, aber die Freude, die Hraban gestern nach dem Empfang des Boten gezeigt hatte, deutete zumindest darauf hin, dass es nicht Liuba war, der sein Kommen angekündigt hatte.
    »Wäre es nicht deines Bruders Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ein guter Braten aufgetischt wird?«
    »Nicht in diesem Falle. Schließlich halten wir ein Gastmahl zu Ehren Thiudawilis, des Vater des Mädchens, das ich heiraten werde. Liuba hätte mich sicher begleitet – aber er musste ja seinen Steinschädel durchsetzen.« Unwillig schnaubte Hraban. »Und jetzt sitzt er warm und gemütlich in Segimers’ Haus und lässt seine eigene Sippe im Stich.«
    Cinna verkniff sich eine bissige Erwiderung und stapfte weiter.
    »Kaum zu glauben, dass er mal ein tüchtiger Söldner in römischen Diensten war.«
    »Also doch?« Der Schlitten stieß in Cinnas Kniekehlen, als er innehielt und in Hrabans düstere Miene starrte.
    »Pass halt auf!«, raunzte dieser ihn unwirsch an. »Liuba war Soldat in römischen Diensten, Decurio in einer Cohors cheruskischer Krieger – eine von denen, welche die drei Legionen des Varus niedergemacht haben.«
    »Ist das wahr?«
    Ungerührt schob Hraban ihn beiseite und zerrte den Schlitten vorwärts. »Es ist ebenso wahr wie einige andere Dinge, die dir nicht gefallen werden, wenn du sie erfährst.«
    »… die da wären?«
    »Er diente unter Arminius gegen die Dalmater und Pannonier. Er war an der Niederschlagung des großen Aufstandes beteiligt und errang einige Auszeichnungen.« Hraban warf einen Blick zurück. »Du kannst dir sicher vorstellen, dass er immer an vorderster Front eingesetzt werden wollte.«
    Cinna, der zu Hraban aufgeschlossen hatte, gab anstelle einer Antwort nur ein leises Knurren von sich, das sowohl Zustimmung als auch Unwille bedeuten konnte.
    »Vor über einem Jahr kehrte er als glühender Verfechter der römischen Sache hierher zurück – aber seine Begeisterung schlug beinahe sofort um.« Hraban drehte sich kurz um. »Für dich wird es etwas ganz Gewöhnliches sein … Es geschah im Sommer, nicht lange vor Liubas Heimkehr. Badwareths, einer unserer reichsten Fürsten, lag mit einem Nachbarn in Fehde. Viel Blut war geflossen. Der Gegner rief das römische Gericht an und bekam Recht. Badwareths wollte nicht nachgeben, er ging zu Quinctilius Varus, warf das blanke Schwert vor ihm auf den Tisch und forderte Genugtuung. Daraufhin ließ Varus ihn in Ketten legen, auspeitschen und kreuzigen.«
    Er blieb stehen. »Und damit nicht genug: Badwareths’ Burg wurde überfallen, die Bewohner vertrieben, seine Frau erschlagen, als sie vergeblich versuchte, ihre Tochter Nanthis vor den Soldaten zu schützen, und die Kinder in die Sklaverei verschleppt.«
    Hraban zog den Schlitten ein Stück weiter durch den Schnee. Das Gefährt rutschte aus der Spur und verkeilte sich in einer dicken Verwehung. Er zerrte an den Riemen, doch die Kufen fraßen sich nur umso tiefer in die weiße Masse. Verärgert schleuderte Hraban das Ende des Zugseils auf den Schlitten und versuchte, die Kufen mit den Füßen freizuscharren.
    Unversehens hielt er inne und hob den

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