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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Besitz einer Geisel. Wir werden in Verhandlungen treten und –«
    »Wer ist wir?«
    »Diejenigen, die sich nicht blenden lassen von dem Irrglauben an einen glorreichen Krieg, den ihr nach dem Willen des Ermanamers führen sollt.«
    »Feiglinge!« Liuba spuckte aus.
    Eisige Stille legte sich über den Hof. Langsam sanken Gunthis’ Hände von ihrem Gesicht, und sie berührte nochmals bittend Inguiotars Arm, doch er beachtete sie nicht.
    »Gib den Gefangenen heraus!«, rief Liuba herrisch. »Ich habe ihn hierher gebracht – ich bringe ihn dahin, wo ihm das widerfahren wird, was er verdient! Du hast kein Recht mehr, über mich zu gebieten!«
    Er trat vor, dunkle Flecken auf den Wangen, und ballte angriffslustig die Fäuste. »Willst du, dass sie deinen Sohn an ihren Tafeln den Sohn eines elenden Feiglings nennen? Willst du, dass sie dich, Inguiotar, den Sohn des berühmten Liubagastis, einen elenden Feigling nennen?«
    Die Kiefer des Alten mahlten, doch er schwieg; seine Augen waren schmal, und zwei steile Falten zerschnitten seine Stirn.
    »Ich werde nicht auf einem Hof bleiben, wo das Ansehen des Sohnes weniger gilt als das Leben eines Unfreien!«, rief Liuba wild.
    »Was soll das?«, versetzte Inguiotar, lauter als Cinna ihn je gehört hatte. »Hast du die Absicht, dich endgültig davonzumachen?«
    »Friede! Er ist dein Sohn!« Thauris schob sich zwischen ihren Mann und ihren Sohn. »Er will uns Ruhm und Ehre bringen.«
    »Ruhm und Ehre?«, brüllte Inguiotar höhnisch. »Den Meuterern hat er sich verschrieben, ohne dem Rat seiner Leute zu folgen! Den Wegelagerern, die uns die Freiheit nehmen wollen und das Recht, Frieden zu halten, mit wem wir wollen!«
    »Du beleidigst meinen Heerführer, Vater! Du schändest meine Ehre! Ich werde nicht hier bleiben!«
    »Wenn du uns jetzt verlässt, wirst du deinen Fuß nie wieder in diese Burg setzen!«, schmetterte Inguiotars erboste Stimme über den Hof.
    Liuba fuhr herum, packte die Zügel des großen Rotschimmels und schwang sich auf den Rücken des Pferdes. Das aufgeregt tänzelnde Tier lenkte er zum Tor, zügelte es scharf vor seines Vaters Füßen. Inguiotar hätte vor den großen Hufen ausweichen müssen, aber er stand unbeweglich da.
    Liuba riss den Rotschimmel herum und trieb ihn mit scharfen Hieben der Zügel zum Fluss hinunter. Der Bote war ebenfalls auf sein Pferd gesprungen und näherte sich dem Tor.
    »Es ist nicht klug, sich dem Willen des Ermanamers zu widersetzen, Inguiotar«, rief er.
    »Sag deinem Herrn, dass er seine Abmachungen nicht mit den Söhnen, sondern mit den Vätern machen muss«, entgegnete Inguiotar. »Ich habe nicht vor, mich seinem Willen zu beugen. Nur einer, der mein Vertrauen gewonnen hat, kann meine Treue haben. Doch Ermanamers ist selbst ein Römer. Er ist keiner von uns. Und er hat Verrat begangen an den eigenen Leuten.«

XI
    Obwohl die Tage länger wurden, blieb es dämmrig unter den Wolken, aus deren grauen Bäuchen unaufhörlich dicke Schneeflocken auf die Erde fielen. Die Dächer begannen, in der weißen Masse zu versinken, während die grimmige Kälte sich sogar im Haus ausbreitete. Frost sickerte in jedes Kleidungsstück, in die Decken, sogar in das Stroh der Betten. Die Frauen gingen nicht mehr zum Waschen, gebadet hatte seit langem niemand mehr, und die Mäntel und Stiefel, die in der Nähe des Herdes trockneten, schwängerten das Haus bis zum First mit ihrem Gestank.
    Thauris ließ das kostbare Getreide für das Gesinde mit bitterer Grassaat mischen. Nüsse und Dörrobst wurden seltene Kostbarkeiten, und die Milch der drei Kühe, die seit dem Schneefall den rückwärtigen Teil des Gebäudes bezogen hatten, trug immer weniger zur Ernährung bei. Räucherfisch und Speck würden nur für Inguiotars Familie bis zum Ende des Winters reichen. Freiwillig kürzten die Menschen ihre Mahlzeiten, so dass sich zum Frost der Hunger gesellte. Das Hoffen auf den Frühling begann früh.
     
    Cinna fuhr aus dem Schlaf hoch und erkannte in der trüben Dunkelheit Hraban, der neben dem Lager kauerte und ihn wachgerüttelt hatte.
    »Steh auf!«, flüsterte Hraban. »Ich brauche dich – es geht auf die Jagd.«
    Müde schälte Cinna sich aus der Decke, schlüpfte in eine zweite Hose und zerrte einen weiteren wollenen Kittel über den Kopf. In notdürftig geschnürten Stiefeln verließ er hinter Hraban das Haus, den Mantel unter dem Arm, als er gegen eine Wand aus Kälte prallte, die ihn vollends weckte. Schnell wickelte er sich in den Umhang und

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