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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Kopf. »Nanthis war Liubas Verlobte. Und er liebte sie sehr.«
    Er blickte sich suchend um, stapfte dann einige Schritte den verschneiten Weg hinunter. Hastig wickelte Cinna die eisig gefrorenen Hände aus den Wollbinden und versuchte sie zu wärmen, indem er sie abwechselnd rieb und anhauchte. Weil die Füße in den klammen Stiefeln schmerzten, trampelte er im Schnee herum, während Hraban nach einem geeigneten Gegenstand suchte, um den Schlitten zu befreien. Obwohl er nie an Kampfhandlungen teilgenommen hatte und nur vom Hörensagen wusste, welche Gräuel bei der Einnahme einer Siedlung entfesselt wurden, schien allein der Gedanke daran den schwachen Schutz vor der eisigen Winternacht bröckeln zu lassen. Hart presste er die Kiefer aufeinander, um das Zähneklappern zu unterdrücken.
    Endlich kehrte Hraban mit einem kräftigen Ast zurück. Er bohrte ihn unter die Kufen und fegte den Schnee hervor. Cinna griff nach dem Strick, und gemeinsam gelang es ihnen, den Schlitten freizubekommen. Als das Gefährt wieder in der Mitte des Weges stand, klopfte Hraban sich den Schnee vom Mantel. Dann sah er Cinna lange an, während sein Atem in feinen weißen Wölkchen verwehte.
    »Als Liuba voller Vorfreude über die bevorstehende Hochzeit aus dem lllyricum zurückkehrte, musste Vater ihm die schreckliche Nachricht beibringen. Doch Liuba glaubte ihm nicht, verließ fluchtartig die Burg und blieb verschwunden. Erst einen Monat später kehrte er zurück. Er hatte erfahren, dass es tatsächlich geschehen war. Und dass Nanthis bei der Ara Ubiorum zu Tode gekommen war. Sie war einem Sklavenhändler in die Hände gefallen, der sie wohl als unbrauchbar beseitigen ließ.« Er verbarg sein Gesicht im Schatten der Kapuze. »Seitdem kenne ich meinen Bruder nicht mehr.«
    Zögerlich griff Cinna nach dem Zugseil des Schlittens, tat ein paar langsame Schritte; er zog das schwere Gefährt allein weiter, als könnte er damit ungeschehen machen, was Hraban erzählt hatte. Selbst als sie die unsichere Brücke erreichten, schob er Hraban beiseite und überquerte ohne dessen Hilfe mühsam die vereiste Furt. Nebel zogen in satten Schwaden durch das Tal, als sie auf den Weg einbogen, den Cinna nur an ihren eigenen Spuren erkannte.
    Im fahlen Morgengrauen blieb er schließlich am Fuß des Hügels stehen und wischte sich mit dem Ärmel den kalten Schweiß von der Stirn. Ein Luftzug streifte ihn, dann legte sich der angewärmte Umhang um seine Schultern.
    »Es ist gut«, murmelte Hraban, als er die Fibel an seiner Schulter feststeckte. »Du musst nicht dafür büßen. Du bist weder einer der Täter noch gehörst du zu ihren Familien.«
    »Bist du dir da so sicher? Ich könnte derjenige sein, der den Befehl gab.«
    »Du warst es nicht. Du kannst es gar nicht gewesen sein.« Hrabans Hände schlossen sich um das Seil, und er brachte Cinna mit einem sanften Stoß in Bewegung. »Du bist erst im vergangenen Winter eingetroffen.«
    Gedämpft erreichte sie ein heller Ruf. Hraban richtete sich auf. Vom Tor rannte ihnen jemand winkend entgegen und ließ den feinen Schnee aufstieben, ein vermummter Junge, der einen Jauchzer ausstieß, als er das Bündel auf dem Schlitten sah. Inguiomers. Hraban ließ das Seil los, um seinen Bruder aufzufangen, der im knietiefen Schnee gestrauchelt war. Ohne ihn zu beachten, stürzte Inguiomers zum Schlitten und riss den Umhang auf, er machte einen Satz und stieß einen leisen Jubelschrei aus.
    »Vielleicht wäre vieles anders gekommen, wenn ihr euch nicht wie die Herren der Welt aufgeführt hättet«, murmelte Hraban.
    Cinna war stehen geblieben.
    »Dann soll das hier … eine Art Schule darstellen?« Er starrte Hraban an, und die Scham schmolz den Reif auf seinen Wangen. »Wie man sich unterworfenen Ubiern, Tenkterern, Cheruskern und anderen Völkern gegenüber verhält, damit sie nicht in jähe Raserei verfallen und ganze Legionen abschlachten?«
    »Unsinn!« Hraban griff nach Cinnas Schulter, verfehlte ihn, da dieser sich abrupt umdrehte und den Weg hinaufstapfte.
    »Bleib stehen!«, schrie Inguiomers, doch Cinna beachtete ihn nicht; er kämpfte sich durch den Schnee zum Tor, dem rosig verfärbten Himmel entgegen.
    *
    Am Nachmittag humpelte Godareths aufgeregt vom See herauf, fuchtelte wild mit den Armen und stieß heisere Rufe aus. Hraban eilte zum Tor, und als er zurückkehrte, war Cinna sicher, das Leuchten auf seinen Zügen richtig zu deuten. Rasselnd näherten sich Reiter, an der Spitze ein hoch gewachsener Mann in

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