Der Tribun
Augen ergriff Inguiotar das Trinkgefäß aus Thiudawilis Hand. »Gemeinsam haben wir gegen die Legionen des großen Drusus gekämpft, haben seiner Reiterei schwer zugesetzt – erinnerst du dich?«
»Ja, ich erinnere mich an tapfere Krieger und Soldaten, die von unseren Waffen zu Boden gestreckt wurden.« Das Horn hatte wieder gewechselt. »Und an den Tag, an dem wir in das Lager des Drusus einzogen, in sein Zelt gingen und unsere Waffen vor ihm niederlegten, um dem besseren Mann den Treueid zu leisten. Du hattest ein zerschlagenes Bein, und als er das erkannte, hob er selbst dich vom Boden auf und sagte, es sei nicht nötig, dass ein so tapferer Mann knie. Ich erinnere mich, dass er sagte: ›Ihr seid nicht besiegt, obwohl ich gesiegt habe – denn ich habe eure Achtung und eure Treue errungen.‹«
»Dann wurde ich von seinem Leibarzt behandelt, und musste zwölf Tage in seinem Lager bleiben.« Inguiotar ließ sich von Thauris frisches Bier einschenken und leerte es zur Hälfte.
Thiudawili langte nach dem Horn. »Zwölf Tage, die dich davon abhielten, zu deiner Frau heimzukehren, die dir gerade eine Tochter geboren hatte. Sechs Winter zuvor hattest du sie dir geholt, deine Thauris, Wakrabadws’ Tochter.« Er stürzte den Rest hinunter. »Meine Braut!«
Die Worte hallten in der Stille nach. Der groß gewachsene Chatte hielt den Arm mit dem Horn erhoben und sein versteinertes Gesicht blickte Inguiotar an. Unvermittelt brach er in schallendes Gelächter aus.
»Ich habe diese Burg belagert, mein Freund. Zehn Tage lang. Und als sie, die schöne Thauris herauskam und uns bat, diesen Bund zu billigen, da war ich der glücklichste Mann der Welt. Fehde führen um eine Frau? Gegen einen Freund wie dich? Niemals!«
Sie hatten sich auf dem Boden niedergelassen und würfelten. Thiudawili war das rohe Fell des Hirsches als Ehrenplatz zugewiesen worden, den er sich mit Inguiotar und Hraban teilte. Die Würfel kreisten, keine zwölfkantigen Holzwürfel, sondern die blank geriebenen Knöchel eines Schafes, die Inguiotar aus einer Truhe ans Licht befördert hatte; Würfel, wie sie im gesamten römischen Imperium aus Fäusten auf den Boden perlten, hoffnungsvoll im Fall beobachtet, be jubelt oder verflucht.
Münzen aus Kupfer und Bronze türmten sich in größeren und kleineren Häufchen neben den Herren und einigen anderen Männern. Thiudawili erfreute sich besonderen Glücks, ließ die Knöchelchen allzu oft auf den schmalen Kanten landen und strich lachend den Einsatz ein.
»Wenigstens einen Spaß haben die Römer uns gebracht. Wäre alles so amüsant gewesen, hätte niemand sich gegen sie erhoben. Aber anstelle eines neuen Drusus schickte uns Caesar diesen griesgrämigen Eigenbrötler.« Sein etwas glasiger Blick fiel auf Cinna. »Was mag er sich nur dabei gedacht haben?«
Wieder hatte Thiudawili für Stille gesorgt, wieder folgten alle Augen seinem Blick.
»Der Plan war, eure Völker auf diese Weise so rasch wie möglich an römische Gebräuche und Gesetze zu gewöhnen«, antwortete Cinna zögerlich. Angestrengt erwiderte er Thiudawilis Starren, als sich dessen Miene unversehens wieder in Heiterkeit auflöste.
»Römische Gebräuche, ja? Solche wie die Angewohnheit, versprochene Zahlungen zu verschleppen? Urteile zu fällen, ohne die andere Seite angehört zu haben? Freie auszupeitschen und zu kreuzigen?«
Cinna biss sich auf die Lippen. »Es sind Fehler gemacht worden. Quinctilius Varus war mit euren Sitten nicht vertraut. Er war zuvor Statthalter in Syria.«
Thiudawili lehnte sich zurück. »Syria!«, rief er gedehnt. »Und warum wurde dann ausgerechnet dieser Mann zum Statthalter in der Germania ernannt?«
Cinnas Wangen glühten fiebrig. »Varus ist Richter, einer der besten. Er versteht sich darauf, Urteile zu fällen, die römischem Recht Genüge tun, ohne die Gesetze anderer Völker zu brechen.«
»Gebrochen hat er unsere Gesetze nicht, aber gebeugt – und das weit über Gebühr«, versetzte Inguiotar hart. »Und er ist mit einer Großnichte des Caesar verheiratet, was seinem Weiterkommen sicherlich nicht geschadet hat.«
Thiudawili prustete das Bier zurück in das Horn und klopfte Inguiotar auf die Schulter. »Das arme Mädchen! Ständig dieses verdrossene Gesicht anschauen zu müssen …«
Er verzog seine Miene zu einer Grimasse, die Varus’ würdevollem Blick nicht unähnlich war, vermochte diesen Ausdruck einen Atemzug lang zu halten, ehe er auflachte. Cinna presste die Lippen aufeinander. Der
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