Der Tribun
nie mals Bier zu sich nahm. Er schlug die Augen auf, als ein scharf zuckendes Leuchten durch die schmale Türöffnung hereinfuhr, gefolgt von dröhnendem Donner. Das Kind blieb schon viel zu lange aus.
Er schlüpfte in den Kittel, der neben dem Bett lag, und eilte zur Tür, wo ihn erneutes taghelles Flackern blendete. Der Hof war leer. Der Wind bog die Äste der umstehenden Bäume, beugte die Stämme und zauste Cinnas Haar, als er sich in Bewegung setzte, ratlos den Weg zur Latrine einschlug.
Licht schleuderte ihn mit brennender Faust zu Boden, krachender Donner zwang ihn, die Ohren zu schützen. Hastig rappelte er sich auf und blickte um sich. Zwischen den vom Sturm gebeutelten Apfelbäumen lag ein Bündel. Ohne zu zögern rannte er hin, als die ersten dicken Tropfen herunterprasselten.
Er drehte den reglosen Körper um. Mit weit aufgerissenen Augen lehnte Saldirs Kopf an seiner Schulter; sie presste ihre Puppe an sich, atmete flach und viel zu schnell. Vergeblich versuchte er, sie vor dem Regen zu schützen, ihr zu helfen, sich aufzurichten, um sie ins Haus zu führen, so schnell es ihre Benommenheit erlaubte, doch ihre Knie knickten ein. Kurzerhand hob er sie hoch und trug sie hinein, wo Margio und Swintha auf ihren Betten kauerten und ihm entgegenstarrten.
Als Cinna Saldir im Flur auf die Füße stellte, kam ihm Thauris in ihrem dünnen Hemd und dem lose geflochtenen Haar entgegen, und das Mädchen sank kraftlos in ihre Arme. Die Puppe schlug auf dem Boden auf.
»Ertho bewahre uns! – Wie siehst du aus, Kind?« Rasch winkte sie Swintha zu sich und schob Saldir zu ihrem Bett hinter dem Vorhang.
Das Gewitter verzog sich allmählich, während sich eine segensreiche Regenflut über das Land ergoss und das Licht des anbrechenden Tages zu grauer Dämmerung dämpfte. Eingehüllt in Decken, lag Saldir auf ihrem Bett, Schweißperlen glitzerten auf Stirn und Schläfen, und sie krampfte ihre Hände um die Arme der Mutter, die ihr das feuchte Haar aus der Stirn strich.
Cinna hatte trockene Kleidung erhalten und den unvermeidlichen Becher voll heißem, bittersüßem Kräutersud; zumindest half das gegen die Kälte. Für Gunthis hatte er den Webrahmen in die Nähe der Feuerstelle gerückt, damit sie das Licht für ihre Arbeit nutzen konnte. Während Swintha und Margio zu den Tieren gegangen waren, genoss Cinna das Privileg, nicht in den Regen hinaus zu müssen, und lauschte der eintönig klappernden Webarbeit.
Hraban hatte ihn aufgefordert, Inguiomers bei der Pflege der Waffen zur Hand zu gehen, eine Aufgabe, die früher ein Rekrut für ihn getan hätte: Die Klinge, die einige kleine Roststellen aufwies, war abzuschleifen und einzufetten und das Griffstück mit einem neuen Lederriemen zu umwickeln. Die Scharten auszuwetzen und Schneide und Spitze zu schleifen, war Aufgabe des Schmieds.
Cinna setzte die Spitze auf dem Boden auf und ließ die Waffe kreiseln, dass sie im Glanz des Feuers funkelnde Lichtflecken versprühte. Zufrieden glitten seine Finger über den Stahl, als ihn ein Geräusch aufhorchen ließ. Ohne sich umzuwenden, erkannte er Thauris am Rauschen der schweren Leinenröcke. Warm legte sich ihre Hand auf seine Schulter.
»Ich danke dir.«
Cinna schob das Schwert in die Scheide und wandte sich um. Das Kind schlief hinter dem halb zurückgeschlagenen Vorhang. Er sah auf, und in Thauris’ hellen Augen leuchtete etwas, das seinen Blick festhielt.
Es war die Erinnerung an Sunjas Augen, in der er zu ertrinken glaubte.
Cinna ließ sich auf dem Rand des Bettes nieder, auf dem Saldir saß, gestützt von dicken Kissen, das wächserne Kindergesicht umrahmt vom strähnig dunklen Haar. Aus ihren Augen hatte stets Licht gestrahlt, sie hatte ihre anfängliche Furcht vor dem Fremden rasch überwunden und eine Brücke geschlagen.
Den seinen musste er als tot gelten, obwohl er lebte, atmete, aß und trank. Längst bewegte er sich nicht mehr mit jener entspannten Eleganz, die den Sohn eines römischen Senators ausgezeichnet hatte, den Urenkel jenes Cinna, der sich dem Diktator Sulla entgegengestellt hatte, den Enkel eines anderen Cinna, welcher der Schwager des Iulius Caesar und Ehemann einer Tochter des großen Pompeius gewesen war, den letzten überlebenden Sohn des Gnaeus Cinna, der gegen Octavianus gekämpft und nie wirklich aufgegeben, sondern immer auf eine Gelegenheit gehofft hatte, diesem anmaßenden Emporkömmling zu schaden, welcher die Zügel des Gemeinwesens ergriffen und ihm, Gnaeus Cinna Magnus,
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