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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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es hatte ihn umgetrieben, ihm keine Ruhe gelassen. Schließlich hatte er eine unbeobachtete Gelegenheit genutzt, um den bereitgestellten Korb schmutziger Wäsche zu durchwühlen, bis er das Hemd in den Händen hielt, den abgewetzten Halssaum fahrig abtastete, bis er die Lücke in der Naht fand und die seidige Locke hervorzog. Doch, sie hätten es erkannt, das honigfarbene Haar, umwickelt mit einem dünnen roten Band, das ihm Saldir auf seine Bitte gegeben hatte, ohne zu fragen wofür.
    »Warum ist deine Schwester noch nicht verheiratet?«
    Hraban, der ihm gerade die Stange zuwerfen wollte, hielt inne und bedachte ihn mit einem prüfenden Blick. »Sunja? Wozu willst du das wissen?«
    »Reine Neugier. Immerhin ist sie älter als Gunthis.« Achselzuckend fing Cinna die Stange auf und stieß das Boot vom Ufer ab, dass es sacht über das Wasser glitt. Hraban lehnte sich zurück, ließ die Arme über den Rand hängen, und seine Fingerspitzen kämmten das Wasser.
    »Das ist richtig, sie ist siebzehn Jahre alt.«
    »Ein ziemlich spätes Mädchen.« Cinna lächelte spöttisch.
    Hrabans Augen blitzten auf. »Es hat Gründe. Ihr Verlobter starb vor vier Jahren, als sie … woanders lebte. Es war wie ein Fluch. Der Mann, den sie sich dann wählte, Harjawakrs, trat in die Reihen der geweihten Krieger des Wodanas ein, die sich nicht an eine Familie binden – das dürftest du schon mitbekommen haben. Und nun halten wir Ausschau nach einem weiteren angemessenen Werber.«
    Ruhig brachte Cinna das Boot zum Stillstand, wo die hölzernen Schwimmer auf den Wellen wippten, und lehnte sich über den Rand. Hraban beobachtete ihn dabei, wie er das Netz einholte. Es gab keine Andeutung, kein Wort fiel, als Hraban nach dem Garn griff. Cinna zerrte die ersten silbrigen Fische aus den Maschen, zerschlug ihre Köpfe an der Bootskante und warf sie, ohne hinzusehen, in den mitgebrachten Kübel.
    Plötzlich bissen die kalten Fasern Cinnas Finger. Er riss die Hand hoch, schüttelte sie mit einem leisen Fluch, saugte das Blut aus dem glatten Schnitt. Das Netz rutschte zurück in den See. Bis Hraban zugriff.
    Während sie das Netz heraufzogen, neigte sich das Boot in die Wellen; Wasser schwappte kalt hinein. Cinna verlagerte sein Gewicht nach hinten, das Boot begann sich zu drehen und begrub das Netz unter sich. Hraban fuhr hoch, was die Bewegung sofort bremste.
    »Was machst du?«
    »Ich verhindere, dass du uns versenkst«, erwiderte Cinna. »Du solltest dich nicht so weit hinauslehnen.«
    Sie pflückten die Äschen und Schleien aus den Maschen und sammelten sie, selbst als der Kübel überzuquellen drohte. Hraban ersparte es sich, die Tiere zu töten, ehe er sie in den Behälter beförderte, silbrige Schuppenleiber, die von ihren zuckenden Artgenossen emporgeschleudert wurden.
    Cinna starrte in die bräunliche Tiefe, die feine Trübung, aufgewirbelt von dem Netz, das sie mit gleichmäßigen Bewegungen einzogen, und den peitschenden Fischleibern, die sie ernteten. Sein zerbrochenes Abbild auf dem Wasser spiegelte ein zweites Gesicht, ein spöttisches Lächeln, grüne Augen unter dichten, schwarzen Wimpern.
    »Habt ihr schon jemanden ausgewählt?«
    »Wovon sprichst du?«
    »Von Sunja. Habt ihr einen Bräutigam in Erwägung gezogen?«
    »Mehrere«, brummte Hraban. »Vaters besonderes Augenmerk gilt Daguvalda, Dagumers’ Sohn vom Volk der Brukterer. Der Vater ist ein Fürst, dessen Wort viel gilt bei den Versammlungen und Heeresschauen.«
    Die Sonne linste durch die Wolken und ließ den See funkeln. Mit der Strömung passierten sie die Bucht, an deren Ende sich der verwahrloste Hain mit dem unförmigen Opferfelsen befand; das dunkle Tuch hing schwer ins Wasser. Hraban berührte Cinnas Arm, die dünne, weiße Linie, die zurückgeblieben war von seinem verzweifelten Opfer.
    »Nun, bist du deinem Wunsch näher gekommen?«
    Cinna fuhr herum, starrte ihn an, verbiss sich jedoch eine Erwiderung und knetete nur die kalten Finger. Die Narbe war noch immer gut sichtbar, wie eine Mahnung zog sie sich eine Handbreit seinen Arm hinauf, und deutlich spürte er sie jetzt unter dem Stoff der Hemden. Die Sonne wärmte sein Gesicht, die Kraft des hellen Tages, Iuppiter. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, und er nickte. »Ein wenig, ja.«
    *
    Vier Tage waren vergangen, seitdem Cinna abwechselnd mit dem Sohn des Priesters Godareths’ Arbeit übernommen hatte. An diesem warmen, sonnigen Nachmittag lugten die ersten weißen und blauen Sterne aus dem filzigen,

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