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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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braunen Grasteppich rings um die Bank, auf der Saldir die Zeit zubrachte. Als Hraban und Cinna auf dem Weg zu einer ihrer täglichen Übungsstunden an ihr vorübergingen, lüftete sie den Tuchstapel neben sich auf der Bank und legte dabei wie zufällig eine speckig abgegriffene, lederne Röhre frei. Cinna fuhr zusammen, und seine Hände wurden schweißfeucht. Kapseln wie diese enthielten Schriftrollen, Bücher wie jenes, das Sunja heimlich hinter dem Haus gelesen hatte, das vierte Buch der Aeneis des Vergil. Aeneas’ Abschied von der karthagischen Königin Dido.
    Er tastete nach dem Halssaum, hielt inne und grub die Zähne in die Unterlippe bei dem Gedanken an diese Gefühlsduselei. Sooft er sich entschlossen hatte, das goldfarbene Gespinst wegzuwerfen, glaubte er, sie vor sich zu sehen, kalkweiß angesichts des zerdrückten Mistelzweigs, der vor ihr auf dem Boden lag. Er erinnerte sich an die mühsam unterdrückte Angst auf ihren Zügen, als er ihr den Zweig gegeben hatte, und dieses Bild verwandelte sich in ihre Augen, die schutzlos seinem Blick preisgegeben waren, während sie von dem sanften Rappen auf ihn herabgeschaut hatte. Stumm schalt er sich einen Narren und spürte zugleich die Erinnerung an ihre schlanken, kühlen Finger in seiner Hand.
    Die Kapsel bannte Cinnas Aufmerksamkeit an diesem Tag so stark, dass er mehr als einen schmerzhaften Treffer hinnehmen musste, was Hraban Anlass zur Freude gab. Deshalb war es ein willkommener Anblick, als Margio am Gatter vorbei zu ihnen trabte, mit den Armen wedelte und Hraban zu seinem Vater rief.
    Während Hraban zum Hof hinübereilte und hinter dem großen Vorratsschuppen verschwand, ordnete Cinna vorsorglich die Waffen. Obwohl Saldir an ihrem Platz verharrte, tief über ihre Handarbeit gebeugt, wusste er, dass sie ihn beobachtete. Schließlich übergab er Margio zwei der Ledertaschen, belud sich selbst mit der dritten und schlug den Weg zum Haus ein, der an Saldirs Lieblingsplatz vorüberführte. Als er die Bank erreichte, ließ er die Tasche zu Boden fallen und setzte sich neben das Mädchen, das ihn nicht beachtete; erst nach einer Weile warf sie einen kurzen Blick auf ihn.
    Cinna zog die Kapsel unter dem Tuch hervor, öffnete sie und ließ die Schriftrolle in seine Hand gleiten. Er erkannte das Buch, das Sunja von dem fahrenden Händler erstanden hatte. Leicht entrollte er den Papyros, strich ihn behutsam glatt. In regelmäßigen schwarzen Kolonnen reihten sich die Buchstaben zu lückenlosen, fast quadratischen Spalten.
    Seine Augen flogen über den Text, den er kannte, sehr gut kannte; dennoch stockte er hier und dort – es war zu lange her, dass er dieses Werk zum letzten Mal in den Händen gehalten hatte. Im vergangenen Sommer, am Anfang des Monats, der zu Ehren des Princeps nach dessen Ehrentitel Augustus benannt worden war. Seine eigene Abschrift war schöner, sauberer geschrieben, ein hochwertigerer Papyros – und vor allem fehlerlos im Gegensatz zu dieser, wie er missbilligend feststellte.
    »Wie kann man das lesen?«, staunte Saldir.
    Mit aufgestütztem Kopf neigte sie sich über den Tuchstapel und lugte über seinen Arm auf die endlosen Reihen dunkler Zeichen, leicht hingekritzelt mit einer starken Neigung nach rechts. Ihre Lippen formten die Laute, tonlos und stockend murmelte sie vor sich hin.
    Als er die nächste Spalte freilegte, hielt sie seine Hand fest, damit er den Teil, den sie noch entzifferte, nicht aufrollte. »Du musst warten. Ich bin nicht so schnell.«
    Er drehte den Stab zurück, um den der Papyros gewickelt war, und wartete auf ein Zeichen. Während sie las, lehnte ihr Kopf an seiner Schulter, und er hörte sie leise die Worte flüstern, die sie mühsam entzifferte.
    Ohne Vorwarnung fuhr sie hoch. Hraban kehrte zurück, und bei ihm war sein Vater, stirnrunzelnd. Cinna überließ Saldir den Papyros, ehe er sich langsam erhob. Auf einen Wink Inguiotars hin sprang das Mädchen davon.
    Hrabans Miene verhieß nichts Gutes. »Es gibt Neuigkeiten. Ein Bote ist im Haus.«
    Die Augen zu Boden schlagend, verstummte er und kaute auf den Lippen, als Inguiotar sich trocken räusperte.
    »Segimers, der Vater des Ermanamers, beansprucht dich als seine Geisel. Er lässt ausrichten, er und sein Sohn seien die Anführer derer, welche die römischen Legionen vernichtet hätten und sie für alle Zeit vertreiben würden. Somit seien sie die Herren über meine Leute und hätten das Recht zu dieser Forderung – und wir seien verpflichtet, sie zu

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