Der Tristan-Betrug
wozu?«
»Dies ist eine äußerst seltene Gelegenheit. Eine Chance für Sie, außerhalb offizieller Anlässe in informeller, privater Atmosphäre mit einem sehr wichtigen deutschen Diplomaten zu verkehren, der einen direkten Draht zu Außenminister von Ribbentrop und folglich auch zum Führer hat.«
»Um was zu tun?«
»Um ihn einzuschätzen. Finden Sie heraus, ob Sie die Berichte bestätigen können, die wir erhalten haben - dass dieser Mann insgeheim ein Regimegegner ist.«
»Wenn Sie bereits Berichte über ihn haben, können seine Antipathien kein großes Geheimnis sein.«
»Unsere Diplomaten verstehen sich darauf, Nuancen zu erfassen. Sie berichten über Feinheiten, scherzhafte Nebenbemerkungen, solche Dinge. Aber das ist nicht mit einer vollständigen, intensiven Beurteilung durch einen ausgebildeten Agenten zu vergleichen. Ist von Schüssler tatsächlich ein heimlicher Gegner von Adolf Hitlers Größenwahn, können wir ihn vielleicht als überaus wertvollen Informanten einsetzen.«
»Sie wollen, dass ich ihn umdrehe, stimmt's?«
»Gehen wir lieber Schritt für Schritt vor«, wehrte Corcoran ab. »Ich möchte, dass Sie morgen unter Ihrem richtigen Namen beim hiesigen sowjetischen Generalkonsulat am Boulevard Lannes ein Visum beantragen. Trotz des privilegierten Status, den Ihre Familie bei den Sowjets genießt, dauert die Bearbeitung bestimmt ein paar Tage, vielleicht sogar eine Woche. Bis dahin erledigen Sie, was Sie hier in Paris noch zu tun haben, verbrennen aber keine Schiffe hinter sich. Morgen mache ich Sie mit einem sehr cleveren Mitarbeiter von mir bekannt, der auf einige der Tricks spezialisiert ist, die Sie in Moskau brauchen werden.«
Metcalfe nickte. So aufregend die Idee war, nach Moskau zurückzukehren, war sie nichts im Vergleich zu dem Gedanken, Swetlana Baranowa wiederzusehen - und noch dazu aus einem so wichtigen Grund.
Corcoran stand auf. »Gehen Sie, Stephen. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Mit jedem Tag, der vergeht, erringen die Nazis einen weiteren Sieg. Sie fallen in ein weiteres Land ein. Sie bombardieren eine weitere Stadt. Sie werden immer stärker und gieriger, während wir an der Seitenlinie sitzen und zuschauen. Wie Sie wissen, sind bei uns einige kriegswichtige Güter knapp - Zucker und Schuhe, Benzin und Gummi, Munition. Aber unser knappstes Gut ist Zeit.«
Kapitel Vier
Der Geiger spielte sein Lieblingsstück, Beethovens KreutzerSonate, aber er hatte nicht die geringste Freude daran. Zum einen war die Pianistin miserabel. Sie war die unscheinbare, bestenfalls dürftig begabte Frau eines höheren SS-Führers, die wie eine Jugendliche bei einem Schulkonzert spielte. Sie war keine Musikerin. Sie hämmerte gefühllos auf den Tasten herum und vermasselte das Stück bei einigen drängenden, empfindsamen Passagen völlig. Und sie hatte die irritierende Angewohnheit, Akkorde zu deformieren, indem sie die Tasten mit der Linken einen Augenblick früher anschlug als mit der Rechten. Den ersten Satz, das stürmische Allegro, hatte sie halbwegs passabel gespielt. Aber die alte Hexe hatte kein Gefühl für die Subtilitäten des dritten Satzes, das Andante cantabile mit seinen virtuosen rhythmischen Ausschmückungen.
Zum anderen war die Sonate komplex, selbst für einen guten Musiker wie ihn war sie eine Herausforderung. Nachdem Beethoven die Partitur dem berühmten Pariser Geiger Rodolphe Kreutzer gewidmet und geschickt hatte, hatte Kreutzer sie als unspielbar bezeichnet und selbst niemals öffentlich gespielt.
Obendrein war die Akustik miserabel. Dies war das Heim des unmittelbaren Vorgesetzten des Geigers: Standartenführer H.J. Kieffer, Chef der Pariser Abteilung Spionageabwehr des SS-Sicherheitsdiensts. Der Raum war mit Teppichen ausgelegt, zu denen schwere Samtportieren und Wandteppiche kamen, die jeden Ton verschluckten. Der Konzertflügel war ein sehr guter, aber jämmerlich verstimmter Bechstein.
Kleist wusste wirklich nicht, weshalb er sich überhaupt bereit erklärt hatte, heute Abend zu spielen.
Schließlich gab es sehr viel zu tun, und sein Geigenspiel war nur eine Liebhaberei.
Plötzlich stieg ihm ein Duft in die Nase. Er erkannte das Aroma von Bergamotten, Orange und Rosmarin auf der Grundlage einer Mischung aus Neroliöl und Moschus und wusste sofort, was er roch: 4711, das Eau de Cologne des deutschen Parfümherstellers Muelhens.
Ohne auch nur aufzusehen, wusste Kleist, dass Müller den Raum betreten hatte. Müller, sein hiesiger Aufpasser im
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