Der Triumph der Heilerin.indd
mitgebracht hatten. »Aber Lady de Bohun wird doch nicht etwa das Verschwinden des Bischofs in die Schuhe geschoben, oder?«
Edward warf ihm einen kurzen Blick zu und streifte sich hohe, geschmeidige Reitstiefel über. »Nein. Bis jetzt nicht. Margaret hat es geschickt angestellt. Sie hat sogar Karl hinters Licht geführt.« Der König runzelte die Stirn. Hatte sie das wirklich? Edward war während des Festes aufgefallen, dass Karl von Burgund, wann immer die Rede auf den vermissten Bischof Odo kam, seine Gemahlin mit einer gewissen distanzierten Nachdenklichkeit betrachtete. Er durfte nicht vergessen, dass Karl ein Pragmatiker war. Den König schauderte bei diesem Gedanken. Seine Schwester hatte Nerven wie eine abgebrühte Glücksspielerin - und er hoffentlich auch -, trotzdem waren sie beide nichts als Figuren auf dem Schachbrett der Politik. Und Karl war ein ausgezeichneter Schachspieler.
»Was wird mit Anne geschehen, Bruder?«
Edward schwieg und zerrte an seinen Stiefeln, bis diese sich seinen Waden anpassten. Er wusste nicht recht, was er antworten sollte.
»Auf keinen Fall kann sie in Brügge bleiben«, fuhr der Herzog fort. »Erst muss sich die Aufregung wieder gelegt haben, bevor sie in dieser Stadt sicher sein kann.«
Wieder gelegt? Das war eine schamlose Untertreibung. Das immer lauter werdende Geschwätz, das des Bischofs Verschwinden bei Hof ausgelöst hatte, war ihnen nicht entgangen, als sie am Tag zuvor mit dem Herzog verhandelt hatten. Edward, Herzog Karl, Richard, Louis de Gruuthuse und Hastings hatten über die Stellung der französischen Truppen, die gegenwärtige Situation mit Warwick und Clarence in England und die Anzahl an Soldaten, über Geld und Waffen diskutiert, die Edward für die Rückeroberung seines Reiches benötigte.
»Hast du gehört, dass der Mönch geflohen ist?«, fragte Edward und verzog dabei sein Gesicht zu einem bitteren Lächeln. »Völlig verrückt kann er demnach nicht sein.«
Richard setzte ein schiefes Grinsen auf, doch seinen Miene blieb weiter besorgt. »Glaubst du, sie werden herausfinden, wo Margaret . ich meine, angenommen, sie finden den Leichnam, glaubst du, dass eine Leiche in Gegenwart ihres Mörders zu bluten anfängt? Glaubst du, dass so etwas möglich ist?«
Edward, der gerade nach seinem Schwert greifen wollte, drehte sich lachend um. »Richard, du setzt mich immer wieder in Erstaunen, wirklich. Margaret hat den Bischof nicht umgebracht, und Anne auch nicht. Unsere Schwester hat in diesem Punkt keinen Zweifel gelassen. Der Mann hatte eine Herzattacke, an der er gestorben ist. So etwas passiert eben manchmal. Übrigens ...« Richard war nun ebenfalls zum Ausreiten gekleidet. »Ja?«
»Dein Schluckauf ist weg.«
Anne wachte mit verweinten Augen auf, ihre Glieder schmerzten, und sie fror. Die stinkende Talgkerze, die man ihr gegeben hatte, war längst abgebrannt, und der Steinboden ihrer Zelle war kalt und hart wie ein Eissee.
Zitternd setzte sie sich auf. Die eisige Luft kratzte beim Einatmen in ihrem Hals und in ihren Lungen. Der Schreck darüber hatte etwas Belebendes, und sie verspürte unwillkürlich eine rasende Wut, die sie aufspringen und zur Tür laufen ließ. Mit aller Kraft trat und schlug sie dagegen.
»He da! Macht die Tür auf. Sofort!« Sie wollte nicht nachdenken, sie wollte einfach, dass etwas passierte.
Sie hörte ein Klicken, der Schlüssel wurde im Schloss gedreht, der Riegel zurückgeschoben.
Anne hielt den Atem an und trat einen Schritt zurück.
»Ich danke Euch. Meine Freundin, die Herzogin, wird sehr erfreut sein.« Sie wollte das Beben in ihrer Stimme verbergen, wollte stolz und zuversichtlich klingen, aber dann konnte sie nicht mehr - ihre Augen füllten sich mit Tränen, und die enge, steinerne Welt, die ihr Gefängnis geworden war, verschwamm.
»Und meine Schwester wird sehr froh sein, Euch in Sicherheit zu wissen. Und ich ebenso. Sehr froh.«
Edward.
Mit zwei Schritten war er bei ihr, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Und beide spürten das Herz des anderen schlagen. »Verzeih mir, verzeih mir. Ich konnte nicht früher kommen. Scht, scht, mein Schatz.« Anne schluchzte aus tiefster Seele. Edward hielt sie fest, tröstete sie und wiegte sie in seinen Armen. Sie klammerte sich wie eine Weinrebe an ihn. »Nun, nun ...« Er küsste ihr die Tränen vom Gesicht, küsste ihre Mundwinkel, und als sie zu sprechen anhob, auch ihre Lippen.
»Ich hatte solche Angst. Und ich hatte fürchterliche Träume,
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