Der Triumph der Heilerin.indd
gespitzte Mündchen an die eine Brust setzte. Dann gelang es ihr mit einiger Mühe, die andere Brust zur gleichen Zeit dem zweiten Mündchen anzubieten. Wie jeder gesunde Säugling fing auch dieser gleich kräftig an zu saugen, und beide tranken gierig die Milch aus den marmorweißen Brüsten.
Es war ein anrührender Anblick, trotz der höchst eigenartigen, kleinen, rosa »Hummerscheren«, die sich nach oben arbeiteten und neben den Brustwarzen der Mutter zu liegen kamen, und trotz des überraschenden dritten Arms, der nun zwischen den Brüsten des Mädchens ruhte und dessen Scheren sich im Saugrhythmus des zweiköpfigen Kindes öffneten und schlossen.
Ein Ausdruck des Friedens schlich sich auf das Gesicht des geplagten Mädchens, als es mit mütterlicher Zärtlichkeit seinem Kind beim Trinken zusah. Sacht legte es die Decke zurecht, damit das seltsame, kleine Wesen nicht fröre.
Der König winkte le Dain nach vorn zu seinem Thron. Zu seinem eigenen Erstaunen flüsterte er: »Was meint Ihr, was das ist?«
Le Dain, der genauso gebannt war wie der König, antwortete ohne nachzudenken: »Das weiß Gott allein.«
Louis sah seinen Ratgeber streng an. »Gott, meint Ihr? Nicht ...?« Er wollte den Namen nicht aussprechen, sondern bekreuzigte sich und küsste inbrünstig ein seidenes Reliquiensäckchen, das er um den Hals trug. »Soll es getötet werden?«, fragte der König weiter.
Das Mädchen hörte ihn, und seine Augen weiteten sich vor Schrecken, und die Pupillen wurden so groß, dass vom Blau nichts mehr zu sehen war. Das Kindchen sperrte beide Münder zugleich auf und schrie. Hatte es ebenfalls gehört, was der König gesagt hatte?
Die beiden Männer sahen sich voller Angst an, und das Mädchen brachte mit bebenden Fingern erst den einen, dann den anderen Kopf dazu, sich wieder ihren Brüsten zuzuwenden. Vier kleine Augen schlossen sich, als die Münder wieder zu saugen begannen und die Mutter es hin- und herschaukelte, um ihr Kindchen - oder sich selbst - zu trösten.
»Euer Majestät, vielleicht ist dieses Kind ... ein Symbol?« Le
Dain hörte überrascht seine eigenen Worte. Er hatte es »Kind« genannt.
Der König nickte und betrachtete die Szene, die sich ihm darbot. »Der Krieg. Gott hat uns ein Zeichen zum Krieg mit England gesendet. Das erkenne ich jetzt.«
Le Dain lächelte seinen Herrn erleichtert an. »Gewiss habt Ihr recht, Euer Majestät.« Heftig nickend verbeugte er sich in der Art der Höflinge. »Natürlich habe ich nicht die Gabe, dies zu sehen. Doch Eure von Gott gesalbte Majestät versteht Dinge, die dem gemeinen Mann verborgen bleiben.«
In Anerkennung des Kompliments neigte der König ernst und gebieterisch sein Haupt. »Es ist ganz deutlich, le Dain. Seht nur die zwei Köpfe, diese weisen auf die zwei Könige, auf mich und auf Edward Plantagenet. Drei Arme, diese weisen auf die beteiligten Armeen. Auf die gemeinsame Armee Frankreichs und Englands, auf die Armee von Burgund und auf seine Armee, die Armee von York. Zwei von ihnen sind stark, eine ist schwach.« Louis deutete nacheinander auf die winzigen Gliedmaßen. Das dritte, welches aus der Brust herauswuchs, war in der Tat kleiner. »Die Armee von York - seht nur, wie schwach sie ist, eingekeilt zwischen den beiden anderen. Diese Arme symbolisieren auch die drei am Krieg beteiligten Länder: Frankreich, England und Burgund. Burgund ist natürlich das kleinste Land.«
Le Dain legte eine Art atemloser Verzückung in seine Stimme. »Natürlich! Und die ... Hände?« Fast hätte er »Scheren« gesagt.
Der König runzelte die Stirn. Das war schwieriger zu deuten.
»Sie sehen nicht aus wie die Hände von Sterblichen, das ist richtig.« Nachdenklich sahen beide Männer auf die seltsamen, kleinen Scheren. »Und doch liegt auch hierin eine Botschaft.« Unaufgefordert fiel le Dain auf die Knie und neigte ehrfürchtig sein Haupt, als empfinge er die Hostie beim Abendmahl.
Sacht löste das Mädchen den einen kleinen Mund von ihrer Brust. Die dazugehörigen Augen waren geschlossen. Das Kindchen schlief, wie jeder Säugling nach dem Stillen. Seltsamerweise war der andere Mund noch am Saugen, seine Augen wanderten durch den Raum, während seine Lippen sich eifrig bewegten.
»Ja. Die Hände sind mächtige Waffen. Seht, sie sehen aus wie Scheren, und Scheren schnappen zu und zermalmen ihre Beute. Und seht auch, wie der eine Kopf schläft und der andere wacht. Das mag seltsam anmuten, aber das ist es, was Gott mir sagt. Siehe, der wahre, von
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